Kern, Werner Josef, Polymerchemiker
*9.02.1906, Tiengen bei Waldshut (Baden). Kath. +18.01.1985, Mainz
V Konrad K. (1868-1954), Notar, Oberjustizrat.
M Anna Maria Teresia, geb. Haungs (1879-1947)
G Konrad K. (1908-1941), Staatsanwalt; Otto Albert (1909-nach 1952), Jurist, Oberamtsrichter; Anna (1912-nach 1985), Musiklehrerin.
∞ 13.07.1935 (Karlsruhe) Elfride Berta Baier (1911-2000)
K 3: Rudolf Werner (*1937), Chemiker, Dr. rer. nat., Rosemarie Elfriede (*1939), verh. Arnold, Studienreferendarin; Herbert Konrad (*1944)
1924 III Abitur an d. Rotteck-Oberrealschule, Freiburg
1924 IV – 1930 X Studium Chemie an d. Univ. Freiburg u. im WS 1926/27 Heidelberg. D. 1. Verbandsexamen 17.06.1926, d. 2. – 5.10.1928
1930 X 27 Promotion zum Dr. phil. Diss,: „Über Polyoxymethylene“
1930 X -1938 V Assistent am Chemischen Laboratorium d. Univ. Freiburg; bis April 1935 – „Assistent mit Sondervertrag“, ab April 1935 – ordentlicher Assistent
1937 VI-VIII Habilitation für das Fach „Organische Chemie u. Kolloidchemie“ mit d. Schrift „Über heteropolare Molekülkolloide. Die Polyacrylsäure, ein Modell des Eiweißes“
1938 VI Ernennung zum Dozenten, 1939 X – zum „Dozenten neuer Ordnung“
1938 VI – 1939 III Einrichtung d. Abteilung d. organischen Chemie im geplanten Kunststoffinstitut u. Betreuung Doktoranden an d. Univ. Frankfurt
1939 IV -1945 VII Chemiker in den wissenschaftlichen Laboratorien am Höchst-Werk (Frankfurt) d. IG Farbenindustrie.
1946 IX 1 Planmäßiger a.o. Professor für organische Chemie an d. Univ. Mainz, ab WS 1954/55 – o. Professor
1952 X Direktor des Instituts für Organische Chemie
1957 X Das deutsche Titularmitglied d. „Commission on Macromolecules“ of the International Union of Pure and Applied Chemistry (IUPAC). 1957-1959 Planung, Organisation u. Veranstaltung des IUPAC-Symposiums über Makromoleküle in Deutschland (Wiesbaden, Oktober 1959).
1958 IV Einweihung des Neubaus des Instituts
1960 IV – 1961 III Dekan d. Naturwiss.-math. Fakultät
1974 X Emeritierung
Ehrungen: "Kern-Band" d. Zeitschrift "Die makromolekulare Chemie" (1966, Bd. 91); Hermann-Staudinger-Preis d. Ges. Deutscher Chemiker (1971); Carl-Dietrich-Harries-Medaille d. Deutschen Kautschuk-Gesellschaft (1977); Dr. h.c. d. Universität Belfast (1979); Korr. Mitglied d. Österreichischen Akad. d. Wiss. (1980).
Über die Kinder- und Schulzeit K.s ist nur sehr wenig bekannt. Er wurde als erstes Kind des Notars Konrad K. in Ort Tiengen (heute Stadtteil der Stadt Waldshut) geboren. Später erhielt der Familienvater eine Stelle in Müllheim, Bezirk Freiburg. K. besuchte dort 1918-1921 die Realschule mit sechs Klassen. Anschließend trat er in die Rotteck-Oberrealschule in Freiburg ein, die er Ostern 1924 mit einem Reifezeugnis beendete. Vermutlich wohnte er damals bei Verwandten, weil die Familie erst um 1930 aus Müllheim nach Freiburg umzog.
Im Sommersemester 1924 begann K. sein Chemiestudium an der Universität Freiburg. Den Lehrstuhl der Chemie und das Chemische Laboratorium leitete damals der bedeutende Organiker und hervorragende Lehrer, der spätere Nobelpreisträger Heinrich Wieland (1877-1957), was K.s Einstellung zur organische Chemie bestimmen sollte. Nach Wielands Weggang, SS 1926, folgte ihm Hermann Staudinger (1881-1965), der damals am Anfang seines Lebenswerks, der Gründung der makromolekularen Chemie, stand. Dieser neue Bereich begeisterte K.. Nach dem Diplomexamen im Oktober 1928 begann er unter Anleitung Staudingers seine Doktorarbeit, die er während vier Semestern anfertigte. K. untersuchte die Polymerisation des Oxymethylens (Formaldehyd) und Eigenschaften derer Produkte. Zur großen Zufriedenheit seines Doktorvaters erzielte er mehrere neue Resultate. Zunächst erarbeitete K. die Herstellung von polymer-einheitlichen Molekülen des Polyoxymethylens und konnte zeigen, dass solche Moleküle noch mit einem Polymerisationsgrad von 100 unversetzt in Lösung gehen. Staudinger schrieb davon in seinem Gutachten: „So ist die Existenz langer Moleküle durch diese Untersuchung auf das wertvollste bereichert, ganz besonders aber dadurch, dass auch hier wieder Zusammenhänge zwischen Viscosität und Molekulargewicht gefunden werden“ (UA Freiburg, Promotionsakte K.). Staudinger hob insbesondere die Herstellung einer „ganz neuen Modifikation“ hervor, des glasartigen Polyoxymethylens, als ein wichtiges Ergebnis der Arbeit K.s. (K. hielt später ein Vortrag darüber vor der IX. Hauptversammlung der Kolloid-Gesellschaft im September 1932 in Mainz). „Die Arbeit“, fasste Staudinger zusammen, „stellt eine wesentliche Bereicherung unserer Kenntnis der Existenz und des Baus hochmolekularer Substanzen dar. Sie ist mit großer Selbständigkeit und ausgezeichnetem experimentellem Geschick durchgeführt. Sie wurde durch die gute Beobachtungsgabe des Kandidaten ganz wesentlich gefördert. Auch die Darstellung ist in jeder Hinsicht einwandfrei, so daß ich für diese ausgezeichnete Arbeit die Note 1 = sehr gut in Vorschlag bringe“ (ebd.). Auch für das Rigorosum in der Chemie als Hauptfach, Physik und Mathematik als Nebenfächer erhielt K. „sehr gut“.
Die Dissertation K.s wurde später als ein Kapitel in der Monographie Staudingers „Die hochmolekularen organischen Verbindungen“ publiziert (1932). Praktische Anwendungen seiner Ergebnisse wurden erst nach dem Krieg möglich. K. selbst kehrte zu diesem Gebiet in den 1950er Jahren zurück, als er hier mit Mitarbeitern eine Reihe Untersuchungen durchführte, insbesondere über Reaktionen des Trioxans, d.h. des Trimers von Formaldehyd (s. „Polyoxymethylene“, 1961).
Nach der Promotion blieb K. im Chemischen Laboratorium bei Staudinger, zunächst als Vorlesungsassistent, dann als Privatassistent, jeweils aber „mit Sondervertrag“, den man jedes Semester erneuerte. Im Frühjahr 1935 erhielt er schließlich eine ordentliche Stelle. Nun konnte er eine Familie gründen und selbständige Untersuchungen auf dem Gebiet der makromolekularen Chemie beginnen.
Ausgewähltes Thema war „Über heteropolare Molekülkolloide“ mit dem ersten Objekt die Linearkolloide der Polyacrylsäure. Staudinger vermutete bereits, dass Polyacrylsäure als ein Modell des Eiweißes aufzufassen sei. K. hatte vor, diese Vorstellung „zu vertiefen und vor allem die Polyacrylsäure als Typ polybasischer Säuren zu untersuchen“ (1938, 251). Diese Arbeit bildete die Grundlage für weitere Forschungen der Polyelektrolyten weltweit.
Nach der „Machtübernahme“ sah sich K. gezwungen, um seine Assistentenstelle nicht zu verlieren, in eine Wehrmannschaft einzutreten, die 1934 in die SA überführt wurde. Im Mai 1937 wurde K. Mitglied der NSDAP. Allerdings blieb er eher katholisch als nationalsozialistisch und genoss kein Vertrauen bei der Partei. Das kam ans Licht nach seiner Habilitation.
Nach damaliger Verordnung bedeutete die Habilitation noch keine venia legendi. Für die Ernennung zum Dozenten musste K. ein weiteres Gesuch stellen und öffentliche Lehrproben halten. Am 8. und 9. Februar 1938 trug er je eine Stunde „Über die Chemie der Kunststoffe“ vor. Laut entsprechendem Bericht Staudingers konnte K. „in zwei Stunden einen umfassenden Überblick über die heute so bedeutungsvolle Kunststoff-Frage zu geben“ und dabei „eine ausgezeichnete Lehrbefähigung“ zeigen (UA Freiburg, B 15/794). Danach befürwortete die Fakultät das Gesuch K.s. Der NS-„Dozentenführer“ war jedoch dagegen: „In politisch-weltanschaulicher Hinsicht kann über K. kein eindeutiges Urteil gefällt werden. K. ist katholisch und stand vor dem Umsturz dem Zentrum sehr nahe. Wenn er auch seit 1933 der SA angehört, so konnte bisher ein wirklich ehrlicher und begeisterter Einsatz für den Nationalsozialismus, wie wir ihn von einem zukünftigen Dozenten der deutschen Hochschule erwarten müssen, nicht festgestellt werden“ (UA Freiburg B 15/794). Nach Gesprächen Staudingers mit ihm und mit dem Rektor, stimmte der Dozentenführer zu, aber „nur mit Bedenken“. Im Juni 1938 verlieh das Berliner Ministerium K. die ersehnte Dozentur. Übrigens war K. schon früher mit Vorlesungen über „Methoden der organischen Chemie“ und „Qualitative organische Analyse“ beauftragt gewesen, nämlich im WS 1937/38 und SS 1938.
Im Frühjahr 1938 wurde K. durch die Reichsstelle für Wirtschaftsausbau beauftragt, eine chemische Abteilung des geplanten Kunststoffinstituts in Frankfurt einzurichten mit der Aussicht, Vorsteher dieser Abteilung im neuen Institut zu werden. So kündigte K. seine Assistentenstelle und ging nach Frankfurt. Ab Juni 1938 konnte er in Räumen der dortigen Universität binnen einiger Monaten alle nötigen Einrichtungen vorbereiten. Gleichzeitig betreute K. mehrere Doktoranden an der Universität Frankfurt und hatte vor, sich dort umzuhabilitieren. Sein Gesuch (28. Juli 1938) wurde jedoch durchdie Universität abgelehnt: Die Naturwissenschaftliche Fakultät wollte eine endgültige Stellung erst nehmen „wenn in Frankfurt a. M. ein Kunststoff-Institut errichtet bezw. die Errichtung eines solchen Instituts soweit fortgeschritten ist, daß mit Sicherheit damit gerechnet werden kann, daß in absehbarer Zeit (etwa 1 Semester) das Institut in Betrieb genommen wird.“ (UAF Abt. 1 Nr. 218 Bl. 103, Auskunft des UA Frankfurt ). Man vermutet (Braun, 2006, 756), dass hinter dieser Ablehnung Hinweise auf K.s „religiöse Bindungen“ standen. Inzwischen zögerte sich der Plan der Errichtung eines Kunststoffinstituts immer wieder hinaus, die Universität wollte sie offenbar nicht. K., „mit Rücksicht auf meine Familie“, wie er dem Dekan seiner Fakultät in Freiburg mitteilte, nahm „eine sehr günstige Stellung in der Industrie“ an. (UA Freiburg B 15/794, Brief K.s vom 24.04.1939).
Ab 1. April 1939 begann K. seine Tätigkeit am Werk Höchst der IG Farbenindustrie, nämlich im Kunststoff-Laboratorium. Seine Eigenschaft eines Dozenten der Freiburger Universität konnte er aber, dank der Unterstützung der Fakultät, bewahren. Bis WS 1941/42 hielt K. Vorlesungen über „Kunststoffchemie“. Später wurde dies wegen seiner Überlastung bei Höchst unmöglich.
Bei Kriegsausbruch wurde K. zum Heeresdienst einbezogen, nach einem entsprechenden Antrag von Höchst aber bald reklamiert und kehrte im April 1940 zurück. Nun sollte er die Führung der Forschungsarbeiten übernehmen, um die „Fortschritte auf dem Kunststoffgebiet auf das Bunagebiet zu übertragen“ (Auskunft des Unternehmensarchiv Höchst). Es handelte sich um das seiner Zeit berühmte „Bunaprojekt“, d.h. Herstellung des synthetischen Kautschuks durch Polymerisation von ungesättigten Verbindungen. Bei ausführlichen Untersuchungen über Polymerisation und Copolymerisation von Butadien und von Chloropren mit Vinylverbindungen waren wissenschaftlich und technisch bedeutungsvolle Ergebnisse erreicht worden, insbesondere über die Aufklärung der Startreaktion der radikalischen Polymerisation mit Peroxiden (1940-1941), vor Allem aber der sog. Redoxpolymerisation, d.h. der Auslösung von radikalischen Polymerisationen durch eine Redoxreaktion. Diese Forschungen wurden zusammen mit Mitarbeitern in Höchst und Leverkusen durchgeführt und 1944 abgeschlossen. Sie bildeten die Basis für sechs Patentanmeldungen. Die Ergebnisse konnte K. erst nach dem Krieg publizieren: Eine Reihe von sechs umfangreichen Artikeln in den zwei ersten Bänden von Staudingers Zeitschrift „Die makromolekulare Chemie“ (1948) bildeten tatsächlich eine zusammenfassende Monographie über Mechanismen der Redoxpolymerisationen. Die Grundidee war „die Bildung freier Radikale bei der Redoxreaktion… Diese Radikale sind die Reaktionskeime des Kettenwachstums“ (1948, 209).
Nach dem Zusammenbruch wurde K. auf Anordnung des amerikanischen Control Officers im Juli 1945 gekündigt. Er versuchte, als Dozent an der Freiburger Universität wieder eingestellt zu werden – der „Reinigungs-Ausschuss“ der Universität war dafür – und schlug vor, Vorlesungen über „Chemie und Technologie der makromolekularen Stoffe“ zu halten (Brief K.s an Staudinger vom 7.02.1946, UA Freiburg B 15/794). Die Sache blieb aber unentschieden. Im Sommer 1946 bewarb sich K. und dann wurde als planmäßiger ao. Professor der neu gegründeten Universität Mainz berufen, die in den Gebäuden einer ehemaligen Flak-Kaserne im Mai 1946 feierlich eröffnet wurde.
Anfangs konnten den wissensbegierigen Studenten, meistens ehemalige Soldaten, nur Vorlesungen und Seminare geboten werden, an Laboratorien war nicht zu denken. Später
gab K. zu: „Das Leben als Student wie auch als Professor war nicht leicht. Es fehlte an allem, nicht nur an der Ernährung“ (1977, 38). Zunächst las er in einem ungeheizten Raum, der trotz eisiger Kälte überfüllt war. Im Sommer 1947 konnte das erste Labor für 13 Studenten und einen Assistenten in einem ehemaligen Waschraum im Keller des Mineralogischen Instituts eingerichtet werden. Zwischen 1949 und 1951 erhielt die Organische Abteilung, „nach sorgfältiger Planung“ (1977, 39) ihr Haus und ab Sommersemester 1951 den Rang eines Instituts. In einer ehemaligen Fahrzeughalle wurden in zwei Stockwerken fast 90 Arbeitsplätze, sowie die nötigen Nebenräume eingerichtet, insbesondere die Bibliothek, die auf der Basis der privaten wissenschaftlichen Bibliothek K.s geschaffen wurde. Der Entwicklung der Bibliothek widmete K. stets große Mühe. Bereits im Ruhestand bemerkte er nicht ohne Stolz: „Heute kann diese Bibliothek den Vergleich mit entsprechenden Bibliotheken anderer Universitäten sehr gut aushalten“ (1977, 39).
So, dank zäher ausdauernder Arbeit, stabilisierten sich die Verhältnisse. 1956 standen etwa 80 Arbeitsplätze für das organisch-chemische Praktikum und rund 60 gut eingerichtete Arbeitsplätze für die Ausführung wissenschaftlicher Arbeiten von Diplomanden und Doktoranden zur Verfügung. Dabei verstand K., Hilfe vonseiten der Industrie zu finden, aber auch die Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu bekommen und gezielt einzusetzen.
Die Unterstützung der Industrie erschien noch in anderer Hinsicht entscheidend: Es war der Leiter der BASF Carl Wurster (s. dort), auf dessen Fürsprache die Landesregierung Rheinland-Pfalz die notwendigen erheblichen Mittel für den Neubau des Instituts bewilligte. Zum Sommersemester 1958 bezog das Institut für Organische Chemie das neue Gebäude. Dadurch verdoppelte sich die Zahl der Arbeitsplätze für Praktika und für wissenschaftliche Arbeiten.
Die organisatorische Tätigkeit K.s endete damit nicht, aber nun wurde sie eher wissenschaftlich-organisatorisch ausgerichtet.
1957 wurde K. beim Symposium über Makromoleküle der Internationalen Union für Reine und Angewandte Chemie (IUPAC) als Nachfolger von H. Staudinger zum deutschen Titularmitglied der Kommission über Makromoleküle gewählt und gleichzeitig beauftragt, das nächste IUPAC-Symposium in Deutschland zu organisieren. Das war die erste Versammlung solcher Art in der BRD. Sie fand im Oktober 1959 statt. Da Mainz damals keine Unterkunft für über 1200 Teilnehmer anbieten konnte, wurde das Symposium in Wiesbaden veranstaltet. Anschließend gab K. dessen Materialien heraus.
Die herausgeberische Tätigkeit K.s bildete einen bedeutenden Teil seiner wissenschaftlich-organisatorischen Arbeit. Ab 1962 und bis zum Lebensende war K. Herausgeber der von H. Staudinger begründeten Zeitschrift „Die makromolekulare Chemie“, bis 1965 zusammen mit Staudinger und nach dessen Tod 17 Jahre lang allein, dann ab 1982 zusammen mit seinem Schüler Hartwig Höcker. Die Redaktion befand sich ab 1961 in Mainz. Durch K.s Einsatz erwarb die Zeitschrift internationales Ansehen und trug damit wesentlich auch zur Verständigung der Wissenschaftler untereinander bei.
Dazu gehörte auch die Tätigkeit K.s in Redaktionen mehrerer anderer Zeitschriften, sowie in Gremien der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh). Noch vor der Gründung der GDCh (1949) entstanden in den Besatzungszonen regionale Ortsverbände, so, auf Initiative K.s zunächst „Das Chemische Kolloquium der Universität Mainz“, das sich bald zum „GDCh-Kolloquium Mainz-Wiesbaden“ über Zonengrenzen hinweg verwandelte.
Die Lehrtätigkeit K.s in Mainz begann mit einer Antrittsvorlesung noch vor Anfang des Wintersemesters 1946/47. Ab diesem Semester und bis einschließlich Wintersemester 1963/64 las er jeden Winter je fünf Stunden pro Woche über „Organische Experimentalchemie“; in den Sommersemestern über „Analytische Methoden der organischen Chemie“ und über „Makromolekularchemie“. Außer Vorlesungen veranstaltete K. sehr früh Seminare und Kolloquien. „Das makromolekulare Kolloquium“ (für Fortgeschrittene), das sehr gut und regelmäßig besucht wurde, führte K. zusammen mit dem Professor für Physikalische Chemie Günter Viktor Schulz (1905-1999). Der Schwerpunkt lag wohl bei der Laborbetreuung. Nahezu 150 Doktoranden und Diplomanden führten ihre Forschungsarbeiten unter K.s Anleitung durch. Elf Männer habilitierten sich bei K., fast alle wurden dann Professoren. So gelang es K., eine bedeutende Schule der makromolekularen Chemie um sich zu bilden, in der zahlreiche Mitarbeiter, zum Teil in selbständigen kleinen Gruppen die verschiedenen Themen bearbeiteten. Durch K.s Bemühungen (seit 1961) gründete die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1969 in Mainz den Sonderforschungsbereich „Chemie und Physik der Makromoleküle“.
Als ein echtes Lehrmittel ist auch der umfangreiche Buchbeitrag „Organische Chemie der Kunststoffe“ (1962) zu betrachten, der zusammen mit Hermann Kämmerer verfasst wurde. In diesem Zusammenhang sollten auch Beiträge K.s, zusammen mit Mitarbeitern, zum vielbändigen Standardnachschlagwerk „Methoden der Organischen Chemie“ genannt werden, nämlich zum zweiteiligen Band 14 „Makromolekulare Stoffe“, insgesamt etwa 250 Druckseiten (1961-1962).
Die Forschungen K.s schließen ein weites Spektrum von Themen ein. Sein Schüler Kämmerer (s. L, 1986) listete 15 Gebiete auf, die K. bearbeitet hatte. Viele von seinen Fragestellungen erwiesen sich in der Folgezeit als so fruchtbar, dass sie von zahlreichen Wissenschaftlern in In- und Ausland aufgegriffen und fortgeführt wurden. Außer den erwähnten Arbeiten über Polyoxymethylene, Polyelektrolyte, Redoxpolymerizationen gelten als besonders bedeutend seine Problembearbeitungen über „konstitutionelle Exaktheit in der makromolekularen Chemie“ (1959), vor Allem aber die Untersuchungen über Reaktionen an Polymeren (ab 1955, s. Übersicht von 1958), was sich später zu einer weiten Forschungsrichtung „polymere Katalysatoren“ entwickelte.
Nach der Emeritierung beteiligte sich K. noch manche Jahre am Leben seines Instituts und publizierte weitere Forschungsergebnisse mit seinen jüngeren Kollegen, sowie auch einige zusammenfassende Übersichten, von diejenigen die über die Bedeutung von Endgruppen der linearen Makromoleküle (1976) besonders interessant ist.
Die insgesamt 280 Publikationen K.s spiegeln nur teilweise sein langes Berufsleben als Wissenschaftler, Lehrer und Organisator wider: Es war sehr reich und vielseitig. Trotzdem bildete es eine Einheit. Wie sein Schüler, Professor Dietrich Braun, formulierte, hat W. K. „die makromolekulare Chemie aus ihrer Isolierung innerhalb der organischen Chemie herausgeführt“ (Braun, 2006, 714).
Q UA Freiburg: Matrikel SS 1924, Nr. 188; B 44/164, B 44/168 (Studentenakten); B 31/764 (Promotionsakte K.); B 1/4319, B 1/4320 (Assistenten des Chemisches Laboratoriums); B 15/794 u. B 24/1707 (Personalakten K.); UA Heidelberg: Studentenakte K.; UA Mainz: Best64, Nr. 65 (Personalakte K.); Auskünfte aus dem: UnternehmensA Höchst AG vom 6.06.2014; StadtA Freiburg vom 23.07.2014; StadtA Mainz vom 31.07.2014; UA Frankfurt vom 4.08.2014; StadtA Waldshut-Tiengen vom 4.u. 5.08.2014; Bürgeramt Mainz vom 20.08.2014,
W (mit H. Staudinger, R. Signer, H. Johner, O. Schweitzer) Über Polyoxymethylen-dihydrate, in: Liebigs Annalen d. Chemie 474, 1929, 238-259; Das Polyoxymethylen, ein Modell d. Cellulose, in: H. Staudinger, Die hochmolekularen organischen Verbindungen: Kautschuk u. Cellulose, 1932, 224-287; Polyoxymethylenfilme u. -fasern, in: Kolloid-Zs. 61, 1932, 308-310;
(mit H. Staudinger) Viscositäts-Messungen an Lösungen von Fadenmolekülen mit verzweigten Ketten, in: Berichte d. Deutschen Chemischen Ges. 66, 1933, 373-378; (mit H. Staudinger) Über die Konstitution d. Polyoxymethylene, ebd., 1863-1866; Vergleich d. osmotisch u. viscosimetrisch bestimmten Molekulargewichte von Gemischen von Polymer-homologen, ebd. 68, 1935, 1439-1443; Über heteropolare Molekülkolloide. I. Die Polyacrylsäure, ein Modell des Eiweißes, II. Die Viscosität von Lösungen d. Polyacrylsäure u. ihrer Salze, in: Zs. für physikalische Chemie, A, 181, 1938, 249-282, 283-300; Untersuchungen an wäßrigen Lösungen hochmolekularer Säuren u. ihrer Salze, in: Angewandte Chemie 51, 1938, 566-569;
(mit K. Feuerstein) Über die chemische Reaktion, die d. Inhibierung d. Polymerisation von Styrol durch Chinon zugrunde liegt, in: Journal für praktische Chemie 158, 1941, 186-199; (mit E. Brenneisen) Über heteropolare Molekülkolloide. III. Polymere Amine als Modelle des Eiweißes; IV. Untersuchungen an Salzen polymerer Amine u. an Polyäthyleniminen, ebd., 159, 1941, 193-218, 219-240; (mit H. Fernow) Über die Polymerisation des Acrylnitrils u. Polyacrylnitril, ebd. 160, 1942, 281-295; (mit H. Fernow) Über die Polymerisation des Methacrylnitrils u. Polymethacrylnitril, ebd., 296-314; (mit H. Kämmerer) Die chemische Molekulargewichtsbestimmung von Polystyrolen, I., II., ebd. 161, 1943, 81-112, 289-292;
Über die Einfluß des molekularen Sauerstoffes auf die Polymerisation ungesättigter Verbindungen, in: Die makromolekulare Chemie, 1, 1948, 199-208; Die Katalyse d. Polymerisation ungesättigter Verbindungen mit Hilfe von Redoxsystemen, ebd., 209-228; Über den Primärakt d. mit Hilfe von Peroxyden ausgelösten Polymerisation ungesättigter Verbindungen, ebd. 229-248; Die Metallredoxkatalyse d. Polymerisation ungesättigter Verbindungen, ebd., 249-268; Die Autox- u. Metallautox-Katalyse d. Polymerisation ungesättigter Verbindungen, ebd., 2, 1948, 48-62; Die Beschleunigung d. Polymerisation ungesättigter Verbindungen mit Hilfe von Redoxsystemen, in: Angewandte Chemie 61, 1949, 471-473; Zur Entwicklung d. makromolekularen Chemie. H. Staudinger zum 70. Geburtstag, in: Angewandte Chemie 63, 1951, 229-231; Bildungsweisen makromolekularer Stoffe durch Polymerisation, in: Chemiker-Zeitung 76, 1952, 667-672; Die Katalyse d. Polymerisation ungesättigter Verbindungen, in: Naturforschung u. Medizin in Deutschland 1939-1946, Bd. 38, 1953, 175-213; (mit H. Willersinn) Die Katalyse d. Autoxydation ungesättigter Verbindungen, in: Angewandte Chemie 67, 1955, 573-581; Zur Entwicklung d. makromolekularen Chemie, in: Chemiker-Zeitung 80, 1956, 335-337; (mit R. C. Schulz) Synthetische makromolekulare Stoffe mit reaktiven Gruppen, in: Angewandte Chemie 69, 1957, 153-171; (mit M. Achon-Samblancal u. R. C. Schulz) Die Anwendung von Dicyclopentadienyl-Eisen bei d. Eisen-Redox-Polymerisation von Styrol, in: Monatshefte für Chemie 88, 1957, 763-767; Chemische Umsetzungen an synthetischen Polymeren, Chemiker-Zeitung 82, 1958, 71-77;
Über die konstitutionelle Exaktheit in d. makromolekularen Chemie, in: Angewandte Chemie 71, 1959, 585-589; (mit H. Kämmerer). Makromolekulare u. organische Chemie. Gemeinsamkeiten u. Unterschiede, in: Umschau 64, 1961, 399-402; (mit H. Chedron u. V. Jaacks) Polyoxymethylene, in: Angewandte Chemie 73, 1961, 177-186; (mit H. Chedron u. L. Höhr) Die Ampullentechnik, eine einfache Präzisionsmethode für gaschromatographische Untersuchungen, ebd., 215-218; (mit H. Kämmerer) Die organische Chemie d. Kunststoffe, in: R. Houwink, A. J. Staverman (Hg.) Chemie u. Technologie d. Kunststoffe, 4. Aufl., Bd. I, 1962, 1-169; (mit D. Braun) Stereospezifische Polymerisation in homogenem Medium, in: Chemiker-Zeitung 87, 1963, 799-807; Über die Polymerisation u. Copolymerisation von Trioxan u. von Formaldehyd, in: Chemiker-Zeitung 88, 1964, 623-630; (mit D. Braun u. H. Chedron) Praktikum d. makromolekularen organischen Chemie, 1966, 21971, 31979; (mit H. Kämmerer) Modelle für Matrizenreaktionen, in: Chemiker-Zeitung 91, 1967, 73-79; Chemische Elementarvorgänge bei d. Alterung von Kunststoffen, ebd., 255-262; (mit V. Jaacks) Die Bedeutung d. Polyoxymethylene für die Entwicklung d. makromolekularen Chemie, in: Kolloid-Zs. u. Zs. für Polymere, 216-217, 1967, 286-298; Endgruppen linearer Makromoleküle u. ihre Bedeutung, in: Chemiker-Zeitung 100, 1976, 401-406; (mit H,-J. Cantow) Herrn Professor Dr. Günther Viktor Schulz zum 70. Geburtstag, in: Die Makromolekulare Chemie 177, 1976, 961-963; Das Institut für Organische Chemie, in: Fritz Krafft (Hg.), Mathematik u. Naturwissenschaften an d. Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Überblick d. Fachbereiche aus Anlass d. 500-Jahr-Feier d. Universität, 1977, 37-43;
L DBE 2. Aufl., Bd.5, 2006, 592; Poggendorffs Biographisch-literarisches Handwörterbuch VIIa, Teil 2, 1958, 730f., VIII, Teil 3, 2004, 1648; Anonym, W. K., in: Nachrichten aus Chemie u. Technik 14, 1966, 72 (B); H. Höcker, R. C. Schulz, W. K. zu seinem 70. Geburtstag, in: Die makromolekulare Chemie 177, 1976, 1639-1641; Fritz Krafft (Hg.), Mathematik u. Naturwissenschaften an d. Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Überblick d. Fachbereiche aus Anlass d. 500-Jahr-Feier d. Universität, 1977, 37-48, 95, 98, 114, 142 (B S. 125); G. Wegner, W. K. (1906-1985): Der Beginn d. organischen u. makromolekularen Chemie in Mainz, in: M Kießener, Fr. Moll (Hgg.), Ut omnes unum sint (Teil 3): Grundprofessoren d. Chemie u. Pharmazie, 2009, 69-83 (B).
B UA Heidelberg, Studentenakte K.: Photo ca. 1926; UA Mainz; Makromolekulare Chemie, Bd. 91, 1966, Titelbild;Vgl. L.