Matthes, Karl Henning, Mediziner, Kreislaufforscher, Internist

*16.01.1905, Jena. Ev. + 8.11.1962, Heidelberg

V Max Erich RichardM. (1865-1930), Prof. für Innere Medizin.

M PaulaHelene Martha, geb. Hudemann (1881-1905); Stiefmutter Käthe Philippine Auguste, geb. Munckel (1888-1977); G Halbschwester Käthe, verh. Turowski (1914-1998), Dr. med. u. med. dent.; Halbbruder Max M. (1917-1977), Dr. med., Direktor d. Blutbank in Freiburg/Br.

∞ 30.08.1930, London, Hedwig Elisabeth Friederike Luise, geb. Weiss (1903-1989), Dr. med.

K 3: Karl John (*1931), Dr. med., Prof.; Bernhard Henning Otto (1936-1946); Maria-Luise verh. Lohmann (1939-1992), Musikerin, Dr. med., Prof.

 

1911-1923                              Schulbildung in Marburg (1911-1916) u. in Königsberg/Ostpreußen. Abitur am humanistischen Gymnasium in Königsberg im März 1923

1923-1928                              Studium Medizin in Würzburg (SS 1923), Königsberg (WS 1923/24-WS 1924/25, WS 1925/26, SS 1927), München (SS 1925,WS 1927/28, Heidelberg (SS 1926), Leipzig (WS 1926/27). Ärztliches Staatsexamen am 21.06.1928 in München

1929 VIII 24                            Promotion summa cum laude zum Dr. med. an d. Univ. Heidelberg; Diss.: “Über den Mechanismus d. Pulsverlangsamung durch Morphin“

1929 X – 1931 IX                   Aufenthalt in England: bis Sept. 1930 als Gastarzt am „National Institute for Medical Research“, London, dann als Rockefeller Research Fellow am Physiologischen Institut, Oxford

1931 X – 1945 IV                   Wissenschaftlicher Assistent oder Assistenzarzt (ab Okt. 1939 Titularoberarzt) an d. Medizinischen Klinik d. Univ. Leipzig

1937 VI                                   Habilitation (ohne Dozentur) für das Fach Innere Medizin: H.-schrift: „Über die Regulation von Kreislauf u. Atmung im Dienste des respiratorischen Gaswechsels“

1945 IX – 1947 II                    Leiter d. medizinischen Poliklinik d. Univ. Erlangen (bis Mai 1946 kommissarisch)

1947 III – 1952 XI                   o. Professor u. Direktor d. Universitätsklinik Erlangen

1952 XII – 1962 XI                 o. Professor u. Direktor d. Medizinischen Klinik (Ludolf-Krehl-Klinik) d. Univ. Heidelberg

1955 VIII – 1956 VIII              Dekan d. Medizinischen Fakultät

                                                          

                                                                                                 

Ehrungen: Präsident d. Deutschen Gesellschaft für Kreislaufforschung (1949); Deutscher Vertreter u. Vorstandsmitglied d. „World Society of Cardiology“; Präsident d. Gesellschaft Deutscher Naturforscher u. Ärzte (1960-1962); o. Mitglied d. Heidelberger Akademie d. Wissenschaften (1961); Mitglied d. Deutschen Akademie d. Naturforscher Leopoldina, Halle (1962).

M. verkörpert eine leuchtende Gestalt in der Geschichte der Medizin Deutschlands. In sich vereinte er den bedeutenden Wissenschaftler, der die Medizin mit ganz neuen Methoden der Kreislauf- und Atmungsforschung bereicherte, den international anerkannten Kliniker und den hochverehrten Lehrer und Menschen.

Sein Vater, ein Internist von internationalem Ansehen, war zunächst an der Universitätspoliklinik Jena tätig, später wirkte er als Leiter eines Krankenhauses in Köln, als Ordinarius in Marburg und ab 1916 in Königsberg. Seine Mutter starb eine Woche nach seiner Geburt und das Kind wurde durch eine Schwester des Vaters betreut bis zum siebenten Lebensjahr als der Vater sich zu erneuter Heirat entschloss. Obwohl die Beziehungen zur Stiefmutter gut waren, ist es zu vermuten, dass seine immer zurückhaltende Art die Wurzeln in der Kindheit hat.

Über die Schulzeit M.s ist wenig bekannt. Er besuchte das Realgymnasium in Marburg, dann ein humanistisches Gymnasium in Königsberg, das 1905 im Stadtteil Hufen eröffnet worden war und deshalb „Hufengymnasium“ hieß. Der berühmteste Lehrer war dort der Schriftsteller Ernst Wichert (1887-1950), der Deutsch und Englisch unterrichtete und auch M. begeisterte. Aber die besondere Bewunderung erweckte in ihm der Unterricht in der Oberprima des neuernannten Direktors, des Naturwissenschaftlers Alfred Postelmann (1880-1945). Zu den Naturwissenschaften, insbesondere der Physik neigte der Gymnasiast M., und er hatte zunächst vor, Physik zu studieren. Im März 1923 beendete M. das Gymnasium, wahrscheinlich mit sehr guten Noten. Aber, wie sein Sohn schreibt: „…sein Abiturzeugnis habe ich nie gesehen, mein Vater war dazu zu bescheiden“ (Q, Brief vom 6.08.2013).

Es war der Einfluss seines Vaters, dass M. „nach einigem Schwanken“ (M., 1961, Antrittsrede, 39) sich letztendlich für ein Medizinstudium entschied. Noch als Primaner wurde er zum Lesen der Korrekturfahnen des seinerzeit hervorragenden Lehrbuchs seines Vaters über Differentialdiagnose innerer Krankheiten hinzugezogen. Die physikalische Begabung M.s fand jedoch später ihren Niederschlag in der Erfindung mehrerer instrumentaler Methoden zur Kreislaufuntersuchung, sowie in seinem streng naturwissenschaftlichen Ansatz zur medizinischen Forschung.

M. studierte an fünf Universitäten, jedesmal auf der Suche nach dem für ihn Wesentlichen. Von besonderer Bedeutung, so er selbst, waren für ihn acht Monate am Pathologischen Institut der Universität Leipzig (1926/27), als er sich ausschließlich auf ein Fach konzentrieren konnte und seine ersten Versuche in der experimentellen wissenschaftlichen Forschung machte. Aus dieser Zeit stammt die erste Publikation M.s.

Nach dem Staatsexamen in München im Juni 1928 ging M. als Praktikant zunächst in die Medizinische Klinik Königsberg und im November 1928 in das Pharmakologische Institut der Universität Heidelberg. Der Institutsdirektor Hermann Wieland (s dort) gab ihn das Thema der Doktorarbeit zur Erregung sympathischer Nerven durch Morphin. In dieser Arbeit sollte es sich um den Mechanismus der Pulsverlangsamung durch Morphin handeln, den M. an Hand von Tierexperimenten zu erklären versuchte. Er fand, dass „die nach Morphin auftretende Pulsverlangsamung … nicht in erheblichem Ausmaße durch die Änderung im Kohlensäuregehalt des Blutes bedingt sein [kann]“ (M., 1929, 237). Das war aber das Gegenteil zu der Hypothese seines Doktorvaters. Hier zeigte sich anschaulich die wissenschaftliche Integrität M.s, die seine ganze Tätigkeit charakterisiert. Die Dissertation wurde mit „sehr gut“ bewertet. Nachdem M., den Bestimmungen entsprechend, „das Praktische Jahr“ zum 14. Juli 1929 beendet hatte, wurde ihm durch das Bayerisches Staatsministerium die Approbation als Arzt erteilt.

Der frischgebackene Doktor hatte das Glück, die Möglichkeit einer einjährigen Studienreise nach England zu erhalten. Er arbeitete in London im Nationalen Institut für medizinische Forschungen in der Abteilung der Biochemie und Pharmakologie die Sir Henry Dale (1875-1968, Nobelpreis 1936) leitete. Hier machte M. seine erste Entdeckung, dass die enzymatische Zerlegung von Acetylcholin durch das Alkaloid Eserin gehemmt wird. Er hatte aber keine Möglichkeit, sein Ergebnis weiter zu entwickeln und als ihm das Rockefeller Stipendium angeboten wurde, ging er für ein weiteres Jahr nach Oxford zu dem Neurophysiologen Sir Charles Sherington (1857-1952, Nobelpreis 1932).Teilweise allein, teilweise mit Kollegen führte M. in England insgesamt sechs Arbeiten durch, die in englischen Fachzeitschriften publiziert wurden. Die Schule hervorragender englischer Medizin-Wissenschaftler hat M. nicht nur das technische Vorgehen, sondern auch die präzise Fragestellung und Kritik gelehrt. M. bewahrte lebenslang ein ehrendes Andenken an diese große Persönlichkeiten und betonte oft, welche Bereicherung, wissenschaftlich und menschlich, sie ihm beigebracht hatten. Die zwei Jahre in England begründeten auch wichtige internationale Kontakte M.s.

Zum Ende des ersten Jahres in England kam zu M. seine Braut Hedwig, Tochter des Königsberger Physiologen, Professor Otto Weiss (1871-1943), die er seit der Schulzeit kannte und mit der er auch zusammen studiert hatte. Die Eheschließung fand am 30. August 1930 in Hampstead, London, statt, wozu auch die Eltern der Braut gekommen waren. Es wurde eine glückliche Ehe, die Gattin konnte M. auch beruflich unterstützen.

Nach seiner Rückkehr aus England erhielt M. eine Assistentenstelle an der Leipziger Universitätsklinik, damals der größten in Deutschland, die durch den bedeutenden Internisten, Hämatologen Paul Morawitz (1879-1936) geleitet wurde. Der Übergang aus der Atmosphäre der reinen Forschung im stillen Laboratorium in die bewegte Welt der Klinik mit 700 Betten war „nicht leicht“ (M., 1962, Antrittsrede, 40). Ein Assistenzarzt, der jeweils eine Spezial-Station ein Jahr lang führte, konnte in 8-10 Jahren alle Spezial-Abteilungen durchschreiten und somit „eine ausgezeichnete Ausbildung“ erhalten (ebd.). So war M. der Reihe nach Assistent auf der Station für Herzkrankheiten, auf der neurologischen Abteilung, der Station für Nieren- und Stoffwechselkrankheiten, im Infektionshaus und auf der Aufnahmestation. Seinen klinischen Lehrern, Morawitz und dessen Nachfolger Max Bürger (1885-1966), war M. immer dankbar: In ihrer Schule wurde er selbst zum vielseitig erfahrenen weit blickenden Kliniker. Nach Morawitz hat M. später eine Station in seiner Heidelberger Klinik benannt. Max Bürger widmete er seine Monographie (1951).

Bei ganztägiger klinischer Arbeit – „niemals hat er… das Wohl seiner Kranken aus dem Auge verloren“, bezeugte sein Chef (Bürger, 1962) – entwickelte M. eine Reihe von Forschungsunternehmungen. So leistete M. sein Leben lang die Doppelarbeit als Kliniker und als Forscher. Dabei waren die Leipziger Jahre die fruchtbarsten für die Forschungstätigkeit M.s.

„Er war früh gereift, – erinnerte sein Schüler Gross (s. dort), – und als ich dem Dreißigjährigen begegnete, wirkte er nicht wie ein jüngerer Assistent, sondern war erfahrener, unabhängiger Experimentator, der selbstständig seine eigene Fragestellungen mit den Methoden bearbeitete, die er für deren Lösung entwickelt hatte“ (Gross, 1975, 735).

Mit außerordentlicher Ausdauer, bei ungünstigen Umständen im Keller, arbeitete M. zuverlässige photoelektrische Untersuchungsmethoden aus, die auf schonende Weise beim Menschen verwendet werden konnten. „Oft war er bis Mitternacht im Labor und vierzehn Stunden Arbeit waren das übliche Tagespensum“ (Gross, 1975, 737).

In diese Zeit fällt wohl seine größte wissenschaftliche und technische Leistung, die Ausarbeitung und Konstruktion des ersten Oxymeters, einer Apparatur zur fortlaufenden Registrierung der Sauerstoffsättigung des Blutes beim Menschen. Das Oxymeter eröffnete bald mannigfaltige Verwendungsmöglichkeiten, etwa die Kontrolle des Sauerstoffgehaltes des arteriellen Blutes bei Operationen, oder in großen Höhen, z. B. beim Fliegen, oder bei verschiedenen Belastungen.

Bereits Anfang 1936 hatte M. genug Material für seine Habilitation. Kürz zuvor aber waren die berüchtigten Nürnberger Gesetze beschlossen, nach denen M.s Frau als „jüdischer Mischling 1. Grades“ (Halbjüdin) eingestuft wurde. Zunächst meinte man in der Medizinischen Fakultät, dass dies die Habilitation ausschließe, so dass M.s erste Erkundigungen in Keime abgelehnt wurden. Nach den Bestimmungen der Gesetze zeigte sich jedoch, dass der Ehemann eines „Mischlings 1. Grades“ sich zwar habilitieren, nicht aber Dozent werden könne.

Im Dezember 1936 stellte M. an die Medizinische Fakultät sein Gesuch um Habilitation, wobei er seine zweite Habilitationsschrift über die Regulation von Atmung und Kreislauf vorlegte. Der erste Gutachter, der Internist Rudolf Schoen (1892-1979) fasste seine Analyse so zusammen: „Die Arbeit ist nach Fragestellung und Durchführung durchaus originell und bringt wichtige neue Ergebnisse auf einem Gebiet, auf welches schon außerordentlich viel Forschungsarbeit verwendet worden ist“ „M. weist sich… als ernster, vielseitig erfahrener, zielbewusster und erfolgreicher Forscher aus, auf den berechtigte Hoffnungen für die Zukunft gesetzt werden können“ (UA Leipzig, PA 1498, Bl. 17, 18). Der zweite Gutachter, der Physiologie-Professor Martin Gildemeister (1876-1943), fügte hinzu: „Trotz der großen Konkurrenz, die es auf diesem Gebiete von Seiten der besten Physiologen und physiologisch arbeitenden Kliniker gibt, ist es Dr. M. gelungen, neue Tatsachen zu finden und bekannte neu zu beleuchten. Das verdankt er seiner großen technischen Geschicklichkeit, die ihn befähigt hat, Methoden auszuarbeiten und für klinische Zwecke brauchbar zu machen“ (ebd., Bl. 19). Interessant sind die von den Gutachtern verlangten Äußerungen über die Person M.: „Er ist sehr gut erzogen, gewandt, von zurückhaltendem Wesen. Ich halte ihn für unbedingt zuverlässig und von anständiger Gesinnung. Politisch hat sich M. nicht betätigt“ (Schoen, ebd.). Gildemeister schätzte M. „als einen ernsten, zurückhaltenden taktvollen Mann von einwandfreier Gesinnung“ (ebd.).

Anfang Juli ermächtigte das Ministerium für Volksbildung die Medizinische Fakultät, aufgrund der vorgelegten Dokumente, M. den akademischen Grad eines habilitierten Doktors zu verleihen.

Obwohl die Venia legendi M.s ausblieb, betraute ihn Bürger ab 1939 regelmäßig mit Vorlesungen auf dem Gebiet der Inneren Medizin: die Kurse für Perkussion und Auskultation, für klinische Chemie und Mikroskopie, Kurs und Vorlesung über Blutkrankheiten, sowie die Vorlesungen „Innere Medizin für Studierende der Zahnheilkunde und diagnostische und therapeutische Technik“.

Ende 1941 schimmerte sogar die Hoffnung auf, ausnahmeweise eine Dozentur zu erhalten. 1940 war das Institut für Arbeits- und Leistungsmedizin bei der Leipziger Universität gegründet worden und dessen Direktor, Professor Max Hochrein (1897-1943), hatte vor, M. als beamteten Leiter der wissenschaftlichen Abteilung einzustellen; damit würde ihm auch die Dozentur erteilt. Auch Gildemeister befürwortete M., indem er an den zuständigen Regierungsdirektor schrieb: „Er [M.] ist sicher der bekannteste unter den jüngeren Forschern der Leipziger Medizinischen Fakultät. Da er außerdem noch sehr gut vorträgt und zu interessieren weiß, wäre es sehr schade und ein Verlust für Leipzig, wenn ihm die Dozentur verschlossen bliebe“ (UA Leipzig, PA 1498, Bl. 24). Der Reichsminister des Innern lehnte jedoch die Ausnahme für M. ab. Er genehmigte nur die Übernahme der freien Oberassistentenstelle im Angestelltenverhältnis. M. blieb weiterhin Assistent an der Universitätsklinik, auch wenn ihm ab Oktober 1939 der Titel eines Oberarztes erteilt worden war.

Mit Ausbruch des Kriegs konnte M.s Chef Bürger ihn aufgrund seiner Arbeiten als UK an der Klinik behalten: Diese Arbeiten seien kriegswichtig für die Luftfahrtmedizin. Obwohl sie es tatsächlich waren, dienten die von M. bearbeiteten Themen vorwiegend klinischen Fragestellungen.

Sein Sohn erinnert sich: „mein Vater [hatte] während der Kriegsjahre engen Kontakt zu Dr. Goerdeler, dem OB von Leipzig, der Familie Bonhoeffer und zu Prof. Heisenberg, der einer unserer Nachbarn war“ (Q, Brief vom 10.09.2013). Carl Goerdeler (1884-1945), bis 1937 der OB Leipzig, Gegner des NS-Regimes, der hingerichtet war; Werner Heisenberg (1901-1976) theoretischer Physiker, Nobelpreis 1932. Diese Namen, sowie der bekannte Name Bonhoeffer charakterisieren auch M. selbst.

Nach dem Zusammenbruch wurde M. zum kommissarischen Leiter der Universitätspoliklinik bestimmt: Selbstverständlich war er nie Parteimitglied gewesen. Als es klar wurde, dass die Amerikaner Leipzig für die Sowjetmacht räumen würden, wechselte M. nach Westen, und zwar nach Erlangen. Dabei sorgte er dafür, dass seine Apparatur auf dem Lastwagen, der seinen persönlichen Besitz transportierte, sorgfältig verpackt mitgenommen wurde.

In Erlangen konnte M. die Ergebnisse seiner etwa 15jährigen Forschungen über instrumentelle Untersuchungen beim Menschen ergänzen und zusammenfassen (M., 1951). Die Übernahme der großen Universitätsklinik im Frühjahr 1947 bedeutete jedoch das Ende eigener experimenteller Arbeit. M. verlangte aber, dass seine Assistenten nicht nur klinisch, sondern auch wissenschaftlich betätigten. „Er verfolgte die wissenschaftlichen Arbeiten seiner Schüler mit intensivem Interesse, forderte sie in kritischen Diskussionen in kameradschaftlicher Form und gab neue Anregungen“ (Mechelke, 1963, 1252). Wer aber hier sich einseitig nur als Kliniker darstellte, „wurde von ihm für die Innere Medizin an einer Universitätsklinik als nicht kompetent betrachtet“ (Ulmer, 2005, 297).

Als bedeutendes Verdienst M.s für die Erlangener Klinik gilt die Einrichtung einer neuen Abteilung für Strahlentherapie und Strahlenbiologie (1948). Um die durch Nachkriegsverhältnisse bedingten Informationslücken zu vermindern, veranstaltete M. gleichzeitig einen Erlangener Fortbildungskurs über Röntgentherapie und gab auch dessen Materialien als einen Sonderband der Fachzeitschrift „Strahlentherapie“ heraus. (1949). Zu ähnlichen Zwecken organisierte er in Erlangen eine Tagung über „Ultraschall in der Medizin“, deren Referate er auch herausgab.

Zum Dezember 1952 wurde M. als o. Professor für Innere Medizin und Direktor der Ludolf-Krehl-Klinik nach Heidelberg berufen. Bis zum Ende WS 1952/53 pendelte er zwischen Heidelberg und Erlangen, da er kommissarisch das Klinikum in Erlangen noch leitete und jede Woche vier Stunden über „Klinische Medizin“ las.

Über „Klinische Medizin“ las M. auch während aller Heidelberger Jahre – fünf Stunden wöchentlich; außerdem – zwei Stunden jeden Samstag – über „Pathologische Physiologie“- Eine Zeit, 1954-1957, gab er zusätzlich eine einstündige Vorlesung „Die Röntgenologie in Rahmen der inneren Diagnostik“. „Seine Vorlesungen waren wie seine Arbeiten: klar, kritisch und anregend. Sie stellten nicht geringe Anforderungen an die Hörer, aber wer ihnen aufmerksam folgte, gewann nicht nur Wissen, sondern Einblick in die Zusammenhänge und lernte naturwissenschaftlich-medizinisches Denken“ (Kress, 1964, 45).

In Heidelberg, ebenso wie in Erlangen, war M. bestrebt, Klinik und Forschung zu verbinden. Dazu wurde eine Reihe von Laboratorien in der Klinik eingerichtet; die Zahl seiner Mitarbeiter wuchs von 15 (1953) auf 42 (1962). Das wissenschaftliche Niveau der Klinik war herausragend. Ein Zeugnis darüber gab der Band über „Herz und Kreislauf“ des mehrbändigen Handbuchs für Innere Medizin, den M. zusammen mit mehreren Mitarbeitern verfasste (1960).

M. verstand, dass nicht nur reine Therapie, sondern auch psychologische Faktoren für die Heilung bedeutend seien. Dementsprechend wurde in der Klinik eine psychosomatische Abteilung eingerichtet – damals eine kühne und umstrittene Maßnahme. Kein Wunder, dass M. großes Vertrauen der Patienten genoss. „Seine Kranken verehrten und liebten ihn“ (Mechelke, 1963, 1253). Interessant, dass unter seinen zahlreichen Patienten der Begründer von Saudi-Arabien König Ibn Saud war.

„Das dramatischste Ereignis in seinem Leben“, so bezeugt sein Sohn, war eine Pockenepidemie in Heidelberg Ende 1958, Anfang 1959. Die Krankheit wurde durch einen aus seinem Indien-Urlaub rückgekehrten Arzt eingeschleppt, der während seines ersten Arbeitstags (5. Dezember) neun Menschen, Patienten und Personal, infizierte. Diese Tatsache wurde erst mit Verspätung festgestellt, und M. legte, außer obligatorischen Schutzimpfungen, mit Hilfe des Gesundheitsamts eine strenge Quarantäne fest, so dass er zusammen mit dem Personal für Weihnachten in der Klinik eingesperrt bleiben musste. M. selbst wurde auch angesteckt, die Erkrankung hatte dank wiederholten Impfungen glücklicherweise einen leichten Verlauf. Es war die rastlose Arbeit der Klinik und des Gesundheitsamts, die die Verbreitung der Krankheit verhinderte und niemand außerhalb der Klinik angesteckt wurde. Zusätzliche Sorgen brachte M. das Verhalten von Medien, das nicht auf Objektivität gerichtet war, sondern auf Versuche, die „kriminelle“ Seite der Sache zu isolieren und anzugreifen. Nach Erlöschen der Epidemie hielt M. einige Vorträge für Mediziner über die Erfahrungen anlässlich der Pockenerkrankungen in Heidelberg; veröffentlicht ist jedoch nur ein kurzes Referat des ersten Vortrags, am 25. Februar 1959 vor dem Naturwissenschaftlich-Medizinischen Verein zu Heidelberg. Dies ist die einzige medizinische Publikation über diese dramatische Geschichte. Später erwähnte M. die Heidelberger Pockenepidemie „als Bewährungsprobe der Klinik“ (1962, Antrittsrede, 42).

Bei all seinem enormen Arbeitspensum war M. auch wissenschaftlich-organisatorisch tätig. Bereits als Professor in Erlangen wurde M., während der Jahresversammlung der deutschen Internisten in Karlsruhe im Mai 1948 durch überlebende und dort anwesende Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Kreislaufforschung zum Vorsitzenden gewählt und mit Vorbereitung der ersten Nachkriegsversammlung betraut. M. tat damals viel, um dieser Gesellschaft neues Leben zu verleihen, ihm gelang es, gute Repräsentation, internationale Beteiligung und würdigen Verlauf der 15. Tagung der Gesellschaft durchzuführen.

In Heidelberg wirkte M. drei Semester lang als Vorsitzender des Klinikdirektoriums (WS 1954/55 – WS 1955/56), und WS 1955/56 und SS 1956 auch als Dekan. Außerhalb der Universität war M. Obergutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft und konnte viele junge Forscher fördern. Darüber hinaus wirkte M. als Mitherausgeber mehrerer Fachzeitschriften (s. W). Und noch eine Einzelheit: während 1957/58, auf Bitte der US-Armee, war M. Mitglied der Medizinischen Abteilung des Bildungskomitees der US-Armee und jedes Vierteljahr besuchte er das 2. General-Hospital mit dem Ziel, die gute Beziehungen zwischen Deutschen und Amerikanern zu fördern.

Zum Höhepunkt von M.s wissenschaftlich-organisatorischer Tätigkeit wurde die Wahl, im September 1960, zum Präsidenten der Gesellschaft deutscher Naturwissenschaftler und Ärzte für die Jahre 1961-1962. Die bevorstehende 102. Tagung hatte er bis in alle Einzelheiten persönlich geplant und vorbereitet. Als Thema seiner Festrede wählte er die klinische Forschung.

Im Juli 1962 musste M. an einer Hirngeschwulst operiert werden. Es schien, dass er geheilt würde. Im September konnte er als Präsident die 102. Versammlung der Gesellschaft in München begrüßen. Er gab jedoch zu, dass seine behandelnden Ärzte ihm streng geraten hätten, den Festvortrag nicht selbst zu halten. „Als Patient, der auch zugleich Arzt ist, schon aus kollegialen Gründen“ müsse er sich diesem Ratschlag fügen. Den von M. sorgfältig vorbereiteten Text des Vortrags verlas sein Münchener Kollege. Nach einem Monat verschlechterte sich M.s Zustand plötzlich und er starb innerhalb weniger Tage.

Er wurde auf dem Friedhof Heidelberg-Handschuhsheim bestattet. Den Platz für die Familiengrabstätte hatte M. 1957 selbst ausgesucht und das Nutzungsrecht erworben. Er wollte seinen tödlich verunglückten Sohn Bernhard aus dem Friedhof Erlangen überführen lassen, die Umbestattung war jedoch nicht erfolgt.

Von M. stammen 117 Publikationen, die nur teilweise seine Tätigkeit widerspiegeln. Die Verhältnismäßig geringe Zahl ist dadurch bedingt, dass M. jegliche Wiederholungen seiner Ergebnisse in mehreren Versionen vermied, was in der gegenwärtigen Wissenschaft so üblich ist und was ihm immer zuwider war. Als sein Testament ist sein ideenreicher Vortrag „Prinzipien und Probleme der klinischen Forschung“ zu betrachten: Hier hat er insbesondere die Notwendigkeit, aber auch die Spezifik und Schwierigkeiten des Forschens am Kranken als vom höchsten ärztlichen Ethos begründet dargelegt. Insbesondere steht dort: „Wenn eigene Forschung beim einzelnen auch nur stellvertretend auf einem schmalen Sektor eigener Kompetenz möglich ist, so ist sie doch entscheidend für die geistige Haltung im Ganzen“ (1962, Probleme, 6).

M. selbst bleibt als hohes Vorbild für Ärzte und Forscher. „Sein Wirken kann auch daran erkannt werden, dass sich seine Schüler alljährlich am Familiengrab… zu einem kurzen Gedenken treffen“ (Ulmer, 2005, 297).

 

Q UA Leipzig: PA 1498 u. Auskunft vom 6.08. 2013; UA Heidelberg: H-III-862/54 (Promotionsakte M.); PA 1067, PA 2856, PA 4944, PA 4945, HAW 311 (Akten M.)

Auskünfte aus: UA Erlangen vom 11. u. 19.07.2013; StadtA Jena vom 30.07.2013; StadtA Marburg vom 2.08.2013; Briefe von Prof. Karl J. Matthes vom 6.08.2013 u. von Dr. Inge Turowski vom 13.08.2013.

 

W (mit M. Schmidtmann) Untersuchungen über die Reaktion u. Permeabilität von Zellen des entzündeten u. Geschwulstgeweben, in: Zs. Für die gesamte experimentelle Medizin 57, 1927, 127-144; Über den Mechanismus der Pulsverlangsamung durch Morphin (Diss), In: Archiv für Experimentelle Pathologie und Pharmakologie 145, 1929, 225-237; The Action of blood on acetylchloride, in: The Journal of Physiology 70, 1930, 338-348; Beiträge zur Blutzirkulation im kleinen Kreislauf : IV. Mitteilung: Der Druck im kleinen Kreislauf, in: Archiv für Experimentelle Pathologie und Pharmakologie 167, 1932, 687-701; Über den Einfluß der Atmung auf die Sauerstoffsättigung des Arterienblutes, ebd.,176, 1934, 683-696; (mit M. Hochrein) Anämie u. Angina pectoris, in: Deutsches Archiv für klinische Medizin 177, 1935, 1-13; (mit Mitarbeitern) Untersuchungen über den Gasaustausch in d. menschlichen Lunge, I-V, in: Archiv für Experimentelle Pathologie und Pharmakologie 181, 1936, 630-673; 185, 1937, 622-629;

(mit X. Maliklosis) Untersuchungen über die Strömungsgeschwindigkeit des Blutes in menschlichen Arterien, in: Deutsches Archiv für klinische Medizin 179, 1937, 500-517;

Über die Regulation von Kreislauf u. Atmung im Dienste des respiratorischen Gaswechsels (Habilitationsschrift), in: Ergebnisse d. inneren Medizin u. Kinderheilkunde 53, 1937, 169-210;

Zur Physiologie der Bürgerschen pressdruckprobe, In: Klinische Wochenschrift 117, 1938, 472-476; (mit I. Schleicher) Über die Messung d. Kreislaufzeit beim Menschen, in: Zs. Für die gesamte experimentelle Medizin 105, 1939, 755-767; (mit F. Gross) Untersuchungen über die Absorption von rotem u. ultrarotem Licht durch kohlenoxydgesättigtes, sauerstoffgesättigtes u. reduziertes Blut, in: Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 191, 1939, 369-380;

Über die Registrierung von Bewegungsvorgängen mit dem Lichtelektrischen Reflexionsmesser, in: Klinische Wochenschrift, 20, 1941, 295-291; Eine neue Methode zur fortlaufenden Aufzeichnung des systolischen Blutdrucks beim Menschen, ebd., 21, 1942, 290-293;

Untersuchungen über das Wirkungsbild gefäßaktiver Pharmaka bei Menschen, Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 203, 1944, 194-205, weitere Mitteilungen (mit F. Gross) ebd., 206-224, 204, 1947, 57-66; Kreislaufuntersuchungen am Menschen mit fortlaufend registrierenden Methoden, in: Deutsche medizinische Wochenschrift 72, 1947, 28-30;

Untersuchungen über die Atemschwankungen des Blutdrucks und der Pulsfrequenz beim Menschen, in: Pflügers Archiv für die Gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere 250, 1948, 747-768; (mit K. M. Wolf) Ergebnisse d. Penicillin-Behandlung innerer Erkrankungen, in: Medizinische Klinik 44, 1949, 485-490, 529-532; Probleme d. Therapie d. Herzinsuffizienz, in: Verhandlungen d. Deutschen Ges. für Kreislaufforschung 16, 1950, 98-114; Kreislaufuntersuchungen am Menschen mit fortlaufend registrierenden Methoden; 1951;

Pathologische Physiologie als Arbeitsrichtung von Ludolf Krehl, in: Heidelberger Jahrbücher 6, 1952, 202-206; Max Bürger zum 70. Geburtstag, in: Münchener medizinische Wochenschrift 97, 1955, 1542; Hämodynamik des Kreislaufkollapses, in: Cardiologia 35, 1959, 324-346; (mit Mitarbeitern) Herz u. Kreislauf: Cor pulmonale. Herz- u. Kreislaufstörungen bei verschiedenen Krankheiten u. Belastungen. Vegetative Herz-u. Kreislaufstörungen, in: G. v. Bergmann, W. Frey, H. Schwiegk, (Hg.), Handbuch d. Inneren Medizin, 4. Aufl., Bd. 9, Teil 4, 1960. Pathophysiologie d. Diffusion u. Perfusion, in: Verhandlungen d. Deutschen Gesellschaft für Pathologie 44, 1960, 75-98; Über die Struktur d. Universitätskliniken für Innere Medizin, in: Der Internist 2, 1961, Sonderteil, 11-21; Antrittsrede, in: Jahresheft d. Heidelberger Akad. d. Wiss. für 1961/62, 39-42; Prinzipien u. Probleme d. klinischen Forschung, in: Mitteilungen d. Ges. Deutscher Naturforscher u. Ärzte 102, 1962, 5-10. Mitherausgeber: Archiv für Kreislaufforschung 1949-1962; Zs. Für Kreislaufforschung 1949-1962; Arzneimittelforschung 1951-1962; Deutsches Archiv für klinische Medizin 1955-1962.

 

L E. Wurmer, M., K., in: NDB 16, 1990, 400f.; H. Flügge, K. M. +, in: Ruperto Carola 32, 1962, 190f. (B); L. Heilmeyer, K. M. +, in: Jahrbuch d. Heidelberger Akad. d. Wiss. für 1962/63, 83-85; Max Bürger, K. M. zum Gedächtnis, in: Münchener med. Wochenschrift 105, 1963, 260 (B); A. Linke, In Memoriam K. M., in: Medizinische Klinik 58, 1963, 677f. (B); K. Mechelke, K. M.+, in: Deutsche med. Wochenschrift 88, 1963, 1251-1254 (B); H. von Kress, In Memoriam K. M., in Heidelberger Jahrbücher 8, 1964, 41-56 (B, W); In Memoriam K. M., 1965 (B, W); G. Schettler, 70. Wiederkehr des Geburtstages von Prof. Dr. K. M., in: Therapiewoche 25, 1975, H. 21, 2913f. (B); F. Gross, Erinnerungen an K. M., in: Die Medizinische Welt 26, 1975, 735-739 (B); Alice Neidhardt, Medizinische Universitätsklinik Erlangen. Sammlung von Daten u. Ereignissen d. Klinik im Zeitraum von 1820-1980, Diss. Med. Erlangen, 1985, 95-100, 113f.; Astrid Ley, Die Professoren u. Dozenten d. Friedrich-Alexander-Universität Erlangen 1743-1960, Teil 2 Med. Fakultät, 1999, 124f.;,W. T. Ulmer, Professor Dr. K. M.: Memorial zum 100. Geburtstag, in: Zs. Für Kardiologie 94, 2005, 196f.; D. Drüll, Heidelberger Gelehrten Lexikon 1933-1986, 2009, 406f.

 

B UA Heidelberg, Pos I, 01979, 01980, 01981; Vgl. L