Voss, Hermann Emil, Biologe, Endokrinologe

*27.03.1888 St. Petersburg. Ev. + 8.08.1979, Mannheim

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26.08.1933, Mannheim, Hedwig Sophie Louise Charlotte Elisabeth Zur-Mühlen (1905-1993)

K 1: Rosa (*1934)

             1901-1906                              Besuch des St. Annen-Schule in St. Petersburg. Reifezeugnis mit Auszeichnung

             1906-1910                              Biologie-Studium an den Universitäten Freiburg (WS 1906/07- WS 1907/08 u. SS 1909-SS1910), Leipzig (SS 1908) u. Straßburg (WS 1908/09)

             1910 XI 11                              Promotion summa cum laude zum Dr. phil. an d. Univ. Freiburg; Diss.: „Die Entwicklung d. Raupenzeichnung bei einigen Sphingiden“ Diplom vom 11.06.1911

              1911-1914                              Assistent am Zoologischen Institut d. Univ. Straßburg

             1913 VII                                  Habilitation für das Fach Zoologie mit d. Schrift „Die Eireifung bei Mesostomum Ehrenbergi“

             1915-1918                              Militärdienst in d. russischen Armee

             1919-1922                              Flucht- u. Wanderjahre (Odessa, Stockholm, Düsseldorf, Berlin)

             1923-1925                              Assistent am Physiologischen Institut d. Univ. Dorpat (heute Tartu), Estland

             1925-1928                              Assistent am Pharmakologischen Institut ebd.

              1928-1933                              Assistent am Hauptlaboratorium d. Städtischen Krankenanstalten, Mannheim

              1933-1941                              Wissenschaftlicher Mitarbeiter d. medizinischen Abteilung d. Firma Boehringer-Mannheim GmbH

             1941-1954                              Leiter d. Biologischen Forschungsabteilung ebd.; 1951 Prokurist

             1954-1979                              Freier Mitarbeiter ebd. auf dem Gebiet d. Hormone; wissenschaftliche und publizistische Arbeiten

                 Ehrung:Ehrenmitglied d. Deutschen Ges. für Endokrinologie (1960)

Das lange Leben des bedeutenden Biologen und Endokrinologen V. ist kaum ohne große Lücken zu rekonstruieren, denn wichtige Quellen entweder verloren oder nicht zugänglich sind. Insbesondere gibt es weder die Firma Boehringer-Mannheim mehr, mit der V. fast ein halbes Jahrhundert verbunden war, noch ihr Archiv.

V. wurde als sechstes Kind in eine adlige deutsche Familie in Sankt-Petersburg, Russland, geboren. Er besuchte die renommierte deutsche „Annenschule“ und beendete sie mit einem ausgezeichneten Reifezeugnis im Frühjahr 1906.

Anschließend ging er nach Deutschland, um Naturwissenschaften zu studieren. Sechs von seinen acht Semestern verbrachte V. in Freiburg. Seine Doktorarbeit führte er unter Anleitung des Freiburger Professors August Weismann (1834-1914) durch, der als bedeutender Evolutionsbiologe bekannt ist. Sie stellte eine sorgfältige Studie über die Entwicklung der Raupen mehrerer Arten von Schmetterlingen der Gattung Sphingiden dar – vom Ausschlüpfen aus dem Ei bis hin zur Verpuppung. Dafür züchtete V. seine Raupen in besonderen Glaskästen. Die Arbeit bestätigte in vielen Details hinsichtlich der Ontogenese der Raupenzeichnung das allgemeine Gesetz, dass sie eine verkürzte Wiederholung der Phylogenese sei. Das Rigorosum in Zoologie als Hauptfach, Botanik und Physiologie als Nebenfächerbestand V. mit besten Noten.

Nach der Promotion hörte V. zusätzlich ein Semester Vorlesungen über Mathematik, danach erhielt er eine Assistentenstelle an der Universität Straßburg bei dem Zoologie-Professor Alexander Goette (1840-1922), der bedeutende Beiträge zur Entwicklungsbiologie lieferte. Hier führte V. eine Forschung durch über die Entwicklungsphasen eines Glas-Strudelwurms, Mesostoma ehrenbergi, eines einfachen Organismus mit durchsichtigem Körper. Das Thema überließ ihm für die weitere Bearbeitung Goettes Assistent Professor Ernst Bresslau (1877-1935). Diese Arbeit, die er als Habilitationsschrift der Fakultät vorlegte, gehörte zur Genetik, die damals am Beginn ihrer stürmischen Entwicklung stand. V. konnte neue experimentelle Einzelheiten zu diesem Gebiet beitragen und einen ausführlichen Aufsatz darüber publizieren (1914). Nach der Habilitation setzte V. zunächst seine zytologischen Untersuchungen über wirbellose Tiere fort, teilweise zusammen mit Bresslau. Als Privatdozent kündigte V. zwei einstündige Vorlesungen an: „Deszendenztheorie“ und „Biologie der Geschlechtsvererbung“.

Es ist offen, ob V. diese Vorlesungen gehalten hatte, weil er bald in seine Heimatstadt St.-Petersburg wechselte, um an der dortigen Universität Privatdozent zu werden. Über diese kurze Periode seines Lebens ist nichts bekannt. Sicher ist nur, dass er 1915-1918 in der russischen Armee Militärdienst leisten musste. Auch über die Zeit V.s während des Kriegs und der russischen Revolution ist wenig bekannt. Wir wissen nur, dass er aus Odessa, wo er auf eine Professorenstelle hoffte, fliehen musste und über Stockholm nach Deutschland kam. An Hand seiner Veröffentlichungen ist zu verfolgen, dass V. 1920 in Düsseldorf war und sich bemühte, seine Straßburger Ergebnisse zu publizieren. Ob er dort eine sichere Stelle unter den damaligen Verhältnissen hatte, ist fraglich. Jedenfalls ging er Mitte 1921 nach Berlin. Offensichtlich fand er auch hier keine befriedigende Stelle für die von ihm geliebte experimentelle Arbeit, denn seine Artikel aus der Berliner Zeit sind eher historisch-theoretische Essays über den Darwinismus.

1923 landete V. endlich in Dorpat, Estland: Als habilitierter Zoologe wurde er als Assistent am Physiologischen Institut der Universität von dem bedeutenden Physiologen Professor Dr. Alexander Lipschütz (1883-1980) angenommen. Dieser erforschte damals insbesondere das Funktionieren von Organen der inneren Sekretion. Er leitete V. zur experimentellen Endokrinologie an. Zusammen mit Lipschütz führte V. hier eine Reihe Untersuchungen auf diesem Gebiet durch, insbesondere über Transplantationen von Geschlechtsdrüsen und über experimentellen Hermaphroditismus, wobei V. hauptsächlich die histologische Seite der Themen bearbeitete. Diese Forschungen fanden ihren Niederschlag in insgesamt 23 Artikeln in deutschen, französischen und estnischen Zeitschriften. Interessanterweise unterzeichnete V. seine früheren Publikationen in Deutschland noch als „von V.“; auf das adelige „von“ musste er 1923 verzichten, als er nach Estland kam und estnischer Staatsangehöriger wurde.

Anfang 1926 verließ Lipschütz Dorpat, und V. wechselte in das Pharmakologische Institut, in den Arbeitskreis von S. Loewe (s. dort). Zu dieser Zeit waren sie einander bekannt, weil Loewe eine informelle Versammlung der Naturwissenschaftler, „Dorpater Referierabend“, gründete, wo die Vertreter verschiedener Fächer sich trafen. Die wissenschaftliche Arbeit des Pharmakologischen Instituts war auf die Erforschung von Sexualhormonen konzentriert. Auf diesem Gebiet begann damals eine rasche Entwicklung, angeregt durch die Entdeckung eines biologischen Tests in den USA für das weibliche Sexualhormon. L. veränderte diesen Test, um quantitative Daten erhalten zu können. Nun stellte er V. die Aufgabe, einen biologischen Test für ein vermutetes, aber bisher nicht bewiesenes männliches Sexualhormon zu entwickeln. So begann ihre außerordentlich fruchtbare Zusammenarbeit und gleichzeitig ihre lebenslange Freundschaft.

Nach einigen Diskussionen und Vorarbeiten wurde die Maus als Versuchstier gewählt und als Kontroll-Methode die mikroskopische Untersuchung der Gewebe der Vesiculardrüsen von kastrierten Männchen. Tatsächlich zeigten sich diese Gewebe empfindlich für die Zufuhr von Extrakten aus Stierhoden, also von Stoffen, die vermutetes männliches Sexualhormon (Androgen) enthalten sollten: Unter der Wirkung von Androgen war Wachstum in durch Kastration verkümmerten Vesiculardrüsen zu beobachten. Dabei bewährte sich V. „als der sorgfältige ins Detail gehende Untersucher, der zudem mit seinen langjährigen histologischen Erfahrungen den gemeinsamen Erfolg erst möglich machte“ (Simmer, 1980, 85). So entstand der berühmte Loewe-V.-Regenerationstest, der den Nachweis (1927) und die Erforschung der männlichen Sexualhormone ermöglichte.

1928 nahm Loewe den Ruf nach Mannheim als Leiter des Hauptlaboratoriums der städtischen Krankenanstalten an. Seine engsten Mitarbeiter, wie V. mit dessen Braut, folgten ihm nach Deutschland, so dass die Arbeit nahtlos fortgesetzt werden konnte.

Bald entwickelte sich das Hauptlaboratorium zu einem international angesehenen „Hormonforschungsinstitut“. V. leitete die Biologische Abteilung dieses Instituts. Die Jahre der Zusammenarbeit mit Loewe, insbesondere in Mannheim waren äußerst reich an neuen Ergebnissen; während dieser Jahre publizierte V. teilweise mit Loewe, und auch mit eigenen Mitarbeitern, teilweise allein, insgesamt etwa 40 Artikel. Er nahm Teil nicht nur an der Erforschung der männlichen Sexualhormone, wobei hierzu ein neuer Schnelltest entwickelt wurde (1930). Auch war er an den Untersuchungen weiblicher Hormone und Nebennierenhormone beteiligt. Nach mehreren Jahrzehnten, im Alter, erklärte V.: „In meinem abwechslungsreichen, mehr als 60 Jahre umfassenden Forscherleben gehören die 8 Jahre im Loewe-Team zu den glücklichsten, und ich danke dem Lehrer und Freund dafür von Herzen“ (1972, 51).

Mit der „Machtübernahme“ fand diese glückliche Zeit ein jähes Ende. Das als „Judendomäne“ gescholtene Hormonforschungsinstitut wurde bereits im März 1933 durch die neue Stadtverwaltung geschlossen. Loewe musste emigrieren. V. fand eine Möglichkeit bei der Firma „Boehringer““ (in Mannheim-Waldhof) weiter zu arbeiten: Er war damals als Hormonforscher bereits international anerkannt und die Firma hatte Interesse, ihn zu gewinnen, umso mehr, als V. schon früher wichtige Teste für Böhringer durchgeführt hatte. Es gab aber ein ernstes Hindernis: V. blieb noch estnischer Staatsangehöriger und man durfte ihn nicht anstellen. So wurde V. zunächst nicht Angestellter, sondern „freier Mitarbeiter“ mit derselben Entlohnung (400 RM monatlich), die er im Krankenhaus erhalten hatte.

So ließ sich V. mit seiner Familie in Waldhof nieder und konnte, nach dem ersten Schock, zu seinen Hormonforschungen zurückkehren, obwohl die Möglichkeiten zunächst bescheidener wurden. Aus dem vernichteten Hormoninstitut konnte V. jedoch etwas mitbringen: „Ein Mikroskop, 5 Pinzetten, 3 Scheren und je 50 kastrierte männliche und weibliche Mäuse“ (Hardebeck, 1968, 16). Dies wurde zur Keimzelle der zukünftigen Biologischen Abteilung, die 1941 offiziell unter der Leitung V.s etabliert wurde.

V.s Chef war zunächst Dr. med. Franz Johannessohn (1888-1948), der die medizinische Forschung bei „Boehringer“ eingeführt hatte. Auch die Hormonarbeiten gehörten zur medizinischen Forschung. Sie bildeten seit Anfang der 1930er Jahre einen Schwerpunkt im wissenschaftlichen Programm des Unternehmens, und wurden im Kontakt mit dem Göttinger Biochemiker Adolf Butenandt (1903-1995) durchgeführt. Die biologischen Hormonarbeiten von V. und die chemischen Arbeiten von Butenandt ergänzten einander. Bald kam es zu Entwicklung der ersten Hormon-Präparate der Firma „Boehringer“, anfangs ausschließlich aus weiblichen und männlichen Sexualhormonen. Da damals viele pharmazeutische Firmen auf diesem Gebiet arbeiteten, entstand 1935 der sog. „Hormonklub“: Die erfolgreichsten Firmen – „Schering“ und „Boehringer“ in Deutschland, Ciba AG in der Schweiz und „Rousselle“ in Frankreich bildeten eine Forschungsgemeinschaft. Nicht zuletzt basierte der Beitritt von „Boehringer“ in den Hormonklub auf V.s Arbeiten, die teilweise zusammen mit Johannessohn, sowie mit dem physiologischen Chemiker Wilhelm Dirscherl (1899-1982) durchgeführt wurden. Sie waren hauptsächlich den verschiedenen Wirkungen von weiblichen und männlichen Sexualhormonen gewidmet.

Nach den ersten Erfolgen der Hormontherapie zeigte sich, dass diese teilweise nur scheinbar waren und dass die Zusammenhänge viel komplizierter sind, als man zunächst geglaubt hatte. Man fand heraus, dass nicht nur der Mangel, sondern auch ein Überfluss eines Hormons pathologische Wirkungen hervorrufen könnte, vor Allem aber, dass das Zusammenspiel der verschiedenen Hormone und ihre gegenseitige Beeinflussung die entscheidende Rolle spielten. Später, 1950, schrieb V.: „Je mehr sich aber die Kenntnisse der hormonalen Vorgänge vertieften <…> desto schwieriger gestaltete sich die anfänglich so einfach erscheinende therapeutische Nutzung von Hormonen, <…> desto mehr wurde man sich der Verantwortung bewusst, die man bei der künstlichen Einführung dieser körpereigenen Stoffe in den Organismus übernahm. Die moderne Hormon-Therapie steht daher unter dem Zeichen der abwägenden Vorsicht“ (1950, Alte und neue Indikationen der Hormontherapie, 5).

Einen zweiten Schwerpunkt des wissenschaftlichen Programms der Firma bildeten Forschungen über synthetische Mittel gegen Malaria, die zunächst ausschließlich von Chemikern durchgeführt wurden. Dank der Teilnahme der „Medizinischen Forschung“, auch von V. mit Tierexperimenten, erreichten diese Arbeiten 1940 mit dem „Präparat 2616“ einen bedeutenden Erfolg, so dass es zu dessen klinischen Prüfungen kam. V. selbst überwachte diese in Bulgarien während mehr als zwei Jahren von 1941 bis 1943. Die gewonnenen Erfahrungen zeigten sich für V. sehr lehrreich. Er fand damals das Vorhandensein von Pyrogenen (Fiebererregern) in Injektionslösungen heraus, wobei er unter Pyrogenen nicht nur pyrogene Keime selbst, sondern auch ihre Stoffwechselprodukte verstand.

Das Kriegsende erlebte V. in Waldhof, im Wohnhaus der Firma, das damals nahezu leer stand. Während der kurzen Zeit zwischen dem Verschwinden der deutschen Behörden und der Ankunft der Amerikaner musste er sich gegen Plünderungen von Seiten der eigenen Landsleute wehren. Als die Amerikaner im Spätsommer 1945 den Weiterbetrieb der Firma erlaubten, beschäftigte sich V. ausgiebig mit der Wiederbelebung von experimentellen Forschungen. Er kümmerte sich sehr um die Wiederherstellung von wissenschaftlichen Kontakten. Bereits im Mai 1948 nahm er als Vortragender an der Tagung der Gesellschaft Deutscher Chemiker in Hessen teil. Er stellte die bei „Boehringer“ gefundenen synthetischen malariawirksamen Stoffe vor. Weiter beteiligte sich V. an der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, deren Gründungsversammlung am 23. Februar 1953 in Hamburg stattfand. Er schätzte die „befruchtende Diskussion“ und „persönlichen Austausch der Meinungen“ (1953, Erste Tagung.., 753), die die Zusammenkünfte von Kollegen ermöglichten.

Als ein „experimentell und theoretisch eingestellter Naturwissenschaftler“, so V. über sich selbst (1950, Zur Theorie d. Laktation, 180), hielt V. für besonders wichtig, dass experimentelle und klinische Forschungen in Zusammenwirkung durchgeführt würden. Dazu publizierte er viel in medizinischen Zeitschriften. Auf dem Hormongebiet waren seine Bemühungen erfolgreich. Vor Allem strebte er an, direkte Kontakte mit klinischen Ärzten zu pflegen.

So sprach V. im April 1950 in Karlsruhe vor der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie. Er stellte seine Forschungen über das Hormon Prolaktin dar und erklärte, welche Anwendungen dieses Hormons in der Klinik möglich seien.

V. kehrte auch zu dem klinischen Problem zurück, auf das er während des Kriegs getroffen war, nämlich zu den Pyrogenen in Injektionslösungen. Dieses Problem wurde besonders dringend „in den Nachkriegsjahren mit ihren erschwerten Herstellungs- und Kontrollbedingungen“ (1950, Die Notwendigkeit…, 250). Als erster verlangte V. die Aufnahme einer Prüfvorschrift für Pyrogene in Injektionslösungen in das Deutsche Arzneibuch. Er erarbeitete die entsprechende Prüfvorschrift mit Kaninchen als Versuchstieren und schlug diese vor (1950). Er fand auch, in Zusammenarbeit mit einer anderen Firma, eine Methode für die Entfernung pyrogener Substanzen aus Injektionslösungen durch Filtration (1954).

Hauptgegenstand der Arbeiten V.s blieb auch nach dem Krieg die Hormonforschung. Ein wichtiger Teil seiner Arbeiten, der direkt mit dem Betrieb des Unternehmens verbunden war, bezog sich auf die Standardisierung der Methoden für Wertbestimmung von Hormonpräparaten. Allgemeinere und mehr theoretische Arbeiten waren auf die Erforschung von Hypophysen- Hormonen gerichtet, insbesondere des Hormons Prolaktin. Später fasste V. alle Daten über Hypophysen-Hormone zusammen in einem wichtigen Übersichtswerk (1960).

Mit 66 Jahren wurde V. pensioniert. Eine Zeit lang verblieb er jedoch noch beim Unternehmen und arbeitete auf derselben Stelle weiter. Um 1957 verließ V. Waldhof und bezog die ehemalige Villa von Fr. Engelhorn jr. (s. dort), die durch die Eigentümer „Boehringer“ als ein Büro- und Miethaus für Werksangehörige nach dem Krieg ausgebaut worden war. Hier widmete sich V. der wissenschaftlich-literarischen Arbeit über Hormone, wobei er immer der Firma zur Verfügung stand. Seine besondere Aufmerksamkeit richtete er auf die Hormone des Hypophysen-Vorderlappens, aber auch auf die Androgene.

Im Januar 1970 beteiligte sich V. am Lesser-Loewe Kolloquium, das dem Gedenken Loewes gewidmet und in der Anwesenheit von dessen Witwe veranstaltet wurde. In seiner Ansprache würdigte V. Loewe als Forscher und Organisator. Bald darauf beendete V. sein großes Werk über Androgene, das er dem Andenken Loewe widmete. Hier „ist die Frucht eines wissenschaftlichen Werks zu sehen, deren Keime von Loewe und V. in den zwanziger Jahren gelegt wurden“ (Kattermann, 1985, 98).

V. starb im Alter von 91 Jahren. Bei der Trauerfeier hieß es über ihn: „Er war von seinen Aufgaben begeistert, unbestechlich in seiner Arbeit, bescheiden im Erfolg, hilfreich und verstehend gütig zu seinen Mitmenschen“ (Simmer, 1980, 56).

Die Liste der Publikationen V.s, die er um 1970 zusammengestellt hatte (StadtA Mannheim, 27/2006, Nr. 7), zählt 170 Publikationen. Die Themen, die er während seiner jahrzehntelangen wissenschaftlichen Laufbahn bearbeitet hatte, sind vielseitig. Den Schwerpunkt bildet aber die Hormonforschung, die vor Allem die Sexualhormone einschließt, aber auch andere, wie Prolaktin und andere Hypophysenhormone. Der Endokrinologie sind insgesamt 150 aus 170 in seiner Liste genannten Publikationen gewidmet. Zu jener Liste muss auch die fundamentale literarische Arbeit über Androgene (1973-1974) hinzugefügt werden: Darin fand V.s Lebenswerk seine würdige Krönung. In der Geschichte der Biologie und Medizin verbleibt V., „ein Mitbegründer der deutschen Endokrinologie“ (Anonym, 1958, 164), als einer der bedeutendsten Hormonforscher.

Q UA Freiburg: B 15/433, S. 297 u. O 29/18/4517, Promotion V.; B 16/433; 50. Doktorjubiläum V; Auskunft vom 28.02.2017; StadtA Mannheim: Heiratsregister für 1933; Sterberegister für 1979; S1/3372 (Biographische Sammlung Loewe), S1/4342 (Biographische Sammlung V.); 27/2006, Nr. 7, Materialien über V. im Nachlass Klingmüller; Auskunft aus dem Bürgerservice d. Stadt Mannheim vom 3.03.2017; Archiv d. ehemaligen Fa. Böhringer Mannheim, Materialien über V. in den Unternehmenspublikationen: Artikel  in BM-Presseinformation vom 27.März 1978 zum 90. Geburtstag V.; Prof. Dr. H. H. Simmer, Nachruf über V. in Endokrinologie-Informationen 2/1980; Erinnerungen über V. von Dr. K. Hardebeck ohne weitere Hinweise.

W Die Entwicklung d. Raupenzeichnung bei einigen Sphingiden, in: Zoologische Jahrbücher, Abteilung für Systematik 30, 1911, 573-642; Die Bildung d. Stäbchen bei Mesostomum ehrenbergi, in: Zoologischer Anzeiger 39, 1912, 497-499; Cytologische Studien an Mesostoma erhrenbergi, in: Archiv für Zellforschung 12, 1914, 159-194; (mit E. Bresslau) Das Nervensystem von Mesostoma ehrenbergi, in: Zoologischer Anzeiger 43, 1914, 260-263; Monocystis naidis n. sp., eine neue Cölomgregarine d. Oligochäten, in: Archiv für Protistenkunde 42, 1921, 176-178; Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ u. seine Stellungnahme zum Darwinismus, in: Naturwissenschaften 19, 1921, 756-760; Zur Kenntnis von Monocystis naidis, in: Archiv für Protistenkunde 44, 1922, 214-218; Über gegenwärtigen Stand d. Frage nach d. Entstehung d. Arten, in: Klinische Wochenschrift 1, 1922, 81f.; (mit A. Lipschütz) Dynamique de l’hypertrophie ovarienne. Expérience sur les Chattes, in: Comptes rendus de la Société de biologie, 90, 1924, 199-201; Conditions de la greffe ovarienne intratesticulaire (recherches histologiques), ebd. 93, 1925, 1069-1071; (mit A. Lipschütz) Experimenteller Hermaphroditismus u. d. Antagonismus d. Geschlechtsdrüsen [Vier Mitteilungen], in: Archiv für die gesamte Physiologie, 207, 1925, 563-582, 583-595, 208, 1925, 272-299, 211, 1926, 266-278; Die Histologie des experimentellen Ovariotestis, in: Archiv für pathologische Anatomie u. Physiologie 261, 1926, 425-433; (mit S. Loewe) Über weibliche Sexualhormone. VIII. Eine placentare Inkredrüse Spenderin örtlich wirksamen Hormons? in: Klinische Wochenschrift 5, 1926, 1083-1085; (mit S. Loewe u. E. Paas) Beobachtungen zur Frage der Thelykininwirkung an Vögeln, in: Archiv für die gesamte Physiologie 215, 1927, 453-456; Beiträge zur Physiologie d. vaginalen Brunstvorgänge des Meerschweinchens, ebd. 216, 1927, 156-180; Über die Funktion endokriner Heterotransplantate als Kennzeichen ihrer „Einheilung“, in: Biologia generalis 3, 1927, 571-584; Das Fluidum d. Geschlechtlichkeit, in: Umschau, 31, 1927, 1029-1031; (mit S. Loewe) Geschlechtsprägende Wirkungen des Hypophysenvorderlappens am Männchen, in: Archiv für die gesamte Physiologie 218, 1928, 604-609; (mit S. Loewe, F. Lange u. F. Spohr) Über Wirkungsmerkmale des männlichen Sexualhormons bei Stoffen aus dem Pflanzenreich, in: Endokrinologie 1, 1928, 39-44; (mit S. Loewe u. E. Paas) Experimentell-therapeutische Studien an Weibchen mit spontanen Zyklusinsuffizienz, ebd. 323-337; (mit S. Loewe, F. Lange u. A. Wähner) Sexualhormonbefunde im männlichen Harn, in: Klinische Wochenschrift 7, 1928,1376f.; (mit J. Luchsinger) Hormonbilanz nach peroralen Ovarialhormongaben, ebd. 8, 1929; (mit S. Loewe) Der Stand d. Erfassung des männlichen Sexualhormons (Androkinins), ebd. 9, 1930, 481-487; (mit S. Loewe, F. Rotschild u. W. Rautenbusch) Androkinin (männliches Sexualhormon) im männlichen Blut, ebd., 1457; (mit S. Loewe) Schnelltest auf männliches Sexualhormon, in: Deutsche medizinische Wochenschrift 56, 1930, 1256-1258; Der Postpartum-Östrus d. Nagetiere, in: Biologia generalis 6, 1930, 433-455; Die Vesiculardrüsen („Samenblasen“) des Kastraten nach Hodentransplantation, in: Archiv für die gesamte Physiologie 226, 1931, 138-147; (mit S. Loewe) Maskulierung durch Androkinin, in: Klinische Wochenschrift 10, 1931, 1957; (mit S. Loewe) Zur Wertbestimmung männlichen Sexualhormons an den Vesikulardrüsen des Nagermännchens, in: Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie 159, 1931, 532-544; (mit S. Loewe) Die Wirksamkeit intravenös zugeführten Ovarialhormons, ebd. 161, 1931, 108-114; (mit S. Loewe u. F. Lange) Auswertung des Androkiningehalts von Testispräparaten des Handels, ebd. 162, 131, 633-648; (mit S. Loewe, L. Marx u. F. Rotschild) Tierexperimentelle u. klinische Erfahrungen über Nebennierenrindenhormone, in: Klinische Wochenschrift 11, 1932, 281-284; (mit S. Loewe) Nachweis des Vorkommens von Gelbkörperhormon im Frauenharn, in: Schweizerische medizinische Wochenschrift 64, 1934, 1049f.; (mit W. Dirscherl) Bildung eines Stoffes, der die physiologische Wirkung des männlichen Keimdrüsenhormons besitzt, in: Naturwissenschaften 22, 1934, 315; Über Kennzeichen d. Regeneration an d. Vesiculardrüsen d. kastrierten Maus, in: Transactions of the dynamics of development (Moskau), 1935, H. 10, 249-252; (mit W. Dirscherl u. J. Kraus) Neue Stoffe mit starker Wirkung auf die Vesikulardrüsen d. kastrierten männlichen Maus, in: Zs. für physiologische Chemie 42, 1936, 1-10; Die Latenzzeit des weiblichen hormonalen Effekts beim kristallisierten Follikelhormon, in: Klinische Wochenschrift 15, 1936, 633-636; Die örtliche Wirkung von Sexualhormonen, in: Klinische Wochenschrift 16, 1937, 769-771; Experimentelle Hervorrufung des Gesanges bei Kanarienweibchen durch männliches Hormon, in: Endokrinologie 22, 1939, 399-402; (mit E. Rabald) Über Vorkommen u. Eigenschaften des Lactationhormons, in: Zs. für physiologische Chemie 261, 1939, 71-81; Die angebliche oestrogene Wirkung des Yohimbins, in: Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 192, 1939, 570-572; Sind chronische Schädigungen durch Dämpfe von Erdölderivaten bekannt?, in: Die medizinische Welt 14, 1940, 362; (mit A. Hagedorn, F. Johannessohn u. E. Rabald) Über Glykoside d. Oestronreihe, in: Zs. für physiologische Chemie 264, 1940, 23-30; Paradoxe Oestronwirkungen ohne Oestrombehandlung, in: Klinische Wochenschrift 19, 1940, 712-714; (mit P. Rabe u. G. Hagen) Über die chemotherapeutische Bedeutung d. Vinyl- bzw. Äthylgruppe d. Chinaalkaloide, in: Naturwissenschaften 29, 1941, 44f.; Prolaktin. (Das Lactyationshormon des Hypophysenvorderlappens), in: Ergebnisse d. Physiologie 44, 1941, 96-229; Prolaktin u. Progesteron, in: Zentralblatt für Gynäkologie 65, 1941, 79-83; Über den Synergismus von Prolaktin u. Progesteron, ebd. 66, 1942, 514-516; Über Kombinationen östrogener Wirkstoffe, in: Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 202, 1943, 382-394; Über malariawirksame Azo-Chinolin-Derivate, in: Angewandte Chemie 60, 1948, 248; Zur Theorie d. 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Dirscherl (Hg.) Fermente-Hormone-Vitamine, 3. Aufl., Bd. II Hormone, 1960, 525-663; Das die Melanophoren stimulierende Pigmenthormon (MSH) d. Hypophyse (Intermedin, Hormon „R“), ebd. 664-678; Endokrine Tumorgenese, in: Medizin heute 9, 1960, 313-325; (mit H. Simmer) Androgene in menschlichen Ovarium, in: Klinische Wochenschrift 38, 1960, 819-822; Androgene Hormone bei wirbellosen Tieren, in: Arzneimittel-Forschung 11, 1961, 302-307; In memoriam Prof. Dr. W. S. Loewe, in: Deutsche medizinische Wochenschrift 89, 1964, 93f.; W. S. Loewe, Ansprache, in: Mannheimer Hefte 1972, Nr. 2, 50f.; (mit G. Oertel) Androgene, 1973 (Handbuch d. experimentellen Pharmakologie, Bd. XXXV/1); Biologische Auswertung d. Androgene, in: Handbuch d. experimentellen Pharmakologie, Bd. XXXV/2, 1974, 81-186.

L Anonym, Zum 70. Geburtstag von Dr. H. V., in: Arzneimittel-Forschung 8, 1958, 164 (B);K. Hardebeck, Dr. H. E. V. – 80 Jahre alt, in: Boehringer-Mannheim-Kreis 8, 1968, H. 1, 16f.; H. H. Simmer, Nachruf auf H. E. V., in: Endokrinologie-Informationen 20, 1980, 54-56 (B); R. Kattermann, H. E. V. (1888-1979). Ein Leben für die Endokrinologie, in: R. Kattermann (Hg.) Naturwissenschaft u. Medizin. 75 Jahre Klinische Chemie, Pathobiochemie u. Endokrinologie in Mannheim, 1910-1985, 1985, 107-123 (B S. 108, 121); E.P. Fischer, Wissenschaft für den Markt. Die Geschichte des forschenden Unternehmens Boehringer Mannheim, 1991, 130f., 478; Gerhard Bettendorf (Hg.) Zur Geschichte der Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, 1995, 597f. (B).

B Vgl. L.