Kategorie: Kurzbiografien
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Brunck (seit 1905 von Brunck) Heinrich, Chemiker, Industrieller

*23.06.1847 Winterborn (Pfalz), ev., + 4.12.1911 Ludwigshafen

V Friedrich Carl B. (1800-1871), Gutbesitzer in Winterborn;

M Maria Magdalena Lisette-Karoline, geb. Ritter (1811-1888) ;

G 11: Daniel (1831-1887), Landwirt; Wilhelmine, verh. Herold (1832-1904); Ulrich (1833-1906); Maria (1835-1835); Franz (1837-1895), Architekt; Luise (1838-1851); Elise (1840-1854); Anna, verh. Reibold (1842-1892); Fritz (1844-1876); Katharine (1849-1850); Henriette, verh. Pflug (1850-1925).

 

∞ 23.04.1871 in Großkarlbach Emilie Barbara Wilhelmine Fitting (1850-1928);

K 3: Karl (1872-1873); Elisabeth (Elise), verh. Clemm (1874-1904); Wilhelmine (1875-1879)

 

 

1860 IX - 1863 V                              Besuch der Gewerbeschule zu Kaiserslautern

1863 X - 1864 VIII                             Studium Chemie am Züricher Polytechnikum

1864 X - 1867 IV                              Studium Chemie an d. Univ. Tübingen u. (WS

                                                            1865/66 u. SS 1866) an d. Univ. Gent

1867 V 4                                            Promotion in Tübingen; Diss.: "Über einige

                                                            Abkömmlinge des Phenols"

1867 IV-VII                                         Studium Chemie an d. Univ. Zürich

1867 IX                                              Aufenthalt zusammen mit C. Glaser an d.

                                                            Weltausstellung in Paris

1867 X - 1869 X                               Arbeit an d. chemischen Fabrik De Haën in

                                                            List bei Hannover

1869 X 30                                          Eintritt in die BASF

1870 IX - 1871 II                                Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg

1874 - 1876                                       Arbeit an d. Duisburger Abteilung d. BASF

1876 XI - 1883 XII                             Arbeit an d. Alizarinabteilung in Ludwigshafen

1879 II                                                Stellvertretender Direktor mit Prokura

1884 I - 1906 XII                                Leitender technischer Direktor d. BASF

1907 I - 1911 XII                                Vorsitzender des Aufsichtsrats d. BASF

 

 

 

B. wurde als jüngster Sohn in die kinderreiche Familie eines angesehenen Pfälzer Gutsbesitzers geboren und in bewusst einfachster Lebensweise erzogen. Die Eltern waren den Kindern mit ihrem Fleiß und ihrer Tüchtigkeit Vorbild. Nach der Volksschule im Heimatdorf und nachträglichem Lateinunterricht von einem Landpfarrer kam B. in die Gewerbeschule zu Kaiserslautern, eine ausgezeichnete Mittelschule zur Vorbereitung für eine praktische Arbeit. Mit dem guten Absolutorium und Vaters schriftlicher Genehmigung ging B. anschließend in die Chemische Abteilung des Züricher Polytechnikums. Dort studierte er zwei Semester und erhielt beste Noten in allen Fächern, außer Botanik.

Die Grundlagen für die Immatrikulation an einer Universität waren damit erreicht; gewählt wurde Tübingen. Die Bekanntschaft mit dem Chemiker Carl Glaser (s. dort) entwickelte sich bald zu enger Freundschaft und führte B. im Herbst 1865 nach Gent, wo August Kekulé lehrte und Glaser sein Assistent war. Das Jahr bei Kekulé in dessen bester Zeit im Kreise seiner chemiebegeisterten Schüler war entscheidend für die Entwicklung B.s. Nach seiner Rückkehr nach Tübingen beendete er die in Gent begonnene Doktorarbeit. B. wurde im Frühjahr 1867 promoviert. Anschließend studierte er organische Chemie an der Universität Zürich, nach einem Semester wechselte er aber in die Industrie: Dank der Empfehlung von Glaser erhielt er eine Stelle an der kleinen chemischen Fabrik "Dr. De Haën" bei Hannover.

Die folgenden zwei Jahre war B. dort tätig und sammelte nicht nur vielseitige technologische Erfahrungen, sondern auch lernte, mit einfachsten Mitteln und mit wirtschaftlichem Erfolg zu arbeiten.

Im Oktober 1869 folgte B. seinem Freund Glaser, der eben in die BASF eingetreten war und B. empfohlen hatte. B. wurde von Direktor August Clemm (s. dort) als Betriebsassistent für die Anilinfabrikation angenommen. Während B.s Anfangstätigkeit in der Anilinfabrik half ihm der sechs Jahre ältere und erfahrenere Glaser mit Rat und Tat über manche Schwierigkeiten hinweg. B. wurde mit der Verbesserung der Fabrikation von Benzol und Anilin betraut. Den Freunden wurde klar, dass die Herstellung reinen Benzols für die Fabrikation des reinen Anilins notwendig war, und B. konnte dieses Problem schon Anfang 1870 ganz erfolgreich lösen.

Als 1873 die Firma Siegle mit der BASF fusioniert wurde, beauftragte man B., die Duisburger Fabrik Siegles zu leiten. Seine Aufgabe war die Reinigung des aus England importierten Rohanthracens, des Ausgangsmaterials für die Alizarinsynthese. Für B. bildete dies einen bedeutenden Schritt bei seinem Aufstieg im Unternehmen, weil er ohne starken Druck von Seiten seines Vorgesetzten August Clemm sich entfalten konnte. Die Duisburger Niederlassung wurde nach zwei Jahren anderweitig verwertet, die Anthrazenreinigung wieder nach Ludwigshafen überführt. B. kehrte an seine alte Arbeitsstätte zurück, um die Leitung der allgemeinen Betriebe (Gasfabrik, Wasserwerk) zu übernehmen. Aber seine Stellung forderte ihn nicht mehr genügend. Glaser war sich klar, wie wichtig eine so außergewöhnliche Kraft für das Unternehmen war. Um ihn festzuhalten, trat er einen Teil seiner Alizarin-Betriebe an B. ab. B. übernahm die Fabrikationen vom Anthrazen bis zum fertigen Anthrachinon, während Glaser die Farbstoffdarstellung aus Anthrachinon behielt. 1877 hatte Glaser, wegen einer Dienstreise B. die Weiterentwicklung des neu entdeckten aussichtsreichen Farbstoff Alizarinblau übergeben. B. führte sie meisterhaft zu Ende. Ein Zeugnis von Carl Graebe (April 1878): "Für Alizarinblau hat B., der doch der energischste der dortigen Chemiker ist, sofort eine Einrichtung für 500 kg täglich angestellt".

Im Februar 1879 wurden B. und Glaser zu stellvertretenden Direktoren mit Prokura ernannt. Im Gegensatz zur früheren Generation der BASF-Leiter, insbesondere, Fr. Engelhorn, betrachtete B. (und Glaser) das Unternehmen nicht so sehr als Mittel, möglichst schnell Geld zu schaffen, sondern vor allem als Arbeitsfeld, um sich als Fachmann zu realisieren. Mit der BASF fühlten sich B. und Glaser nicht in erster Linie durch ihren Aktienbesitz, sondern vor allem durch ihre Arbeitsleistung verbunden. Nach einigen Jahren schwieriger Auseinandersetzungen zwischen den Firmenbegründern und den jüngeren Leitern, wobei Glaser und B. schon ans Ausscheiden dachten, endete "die Ära Engelhorn" zu Silvester 1883.

Nun begann die "Ära Brunck-Glaser" für die BASF: Ab 1884 bildeten Glaser und B. "das eigentliche Führungsgespann im neuen Vorstand", so in der BASF-Geschichte. Ein Zeitzeuge hatte belegt: "Befreit von den ihren Tatendrang bisher hemmenden Fesseln und von idealem Streben beseelt, Höchstes zu leisten, ergriffen die beiden neuen Direktoren die Zügel des Regiments, und es begann für sie eine arbeitsfrohe Zeit". B. hatte die technische Oberleitung, sowie die Führung der Alizarinabteilung und der anorganischen Betriebe inne. Dabei war B. als technischer Direktor von vornherein der auch von seinem Freund Glaser voll anerkannte führende Kopf. Als erstes wurde ein einheitliches Zusammenarbeiten der verschiedenen Abteilungen eingeführt.

Die Grundlage von B.s Strategie der Entwicklung des Unternehmens war seine wissenschaftliche Kompetenz, so dass er auf die längerfristig ausgelegte Forschung und Produktionsplanung setzte. Für diese Zwecke berief B. schon 1884 solche hervorragende chemische Kräfte wie René Bohn (s. dort), Rudolf Knietsch (1854-1906), 1887 August Bernthsen (s. dort) und 1888 Paul Julius (s. dort).

Die Hauptrichtung war damals die Farbenproduktion. Mit vollem Recht behauptete B.: "Die Industrie der Theerfarbstoffe verdankt ihre Entstehung den Resultaten der wissenschaftlichen Forschung, und ihre weitere Entwickelung bleibt auf's Engste mit den Fortschritten der Wissenschaft verknüpft". Das wichtigste Projekt, das unter der Leitung B.s verwirklicht wurde, ist die Indigo-Synthese. Die zähe Verfolgung des Ziels verlangte 18 Jahre und ein Auskommen von ebensovielen Millionen Mark.

Auch bei den anorganischen Technologien initierte B.grundlegende Verfahren wie die Produktion von flüssigem Chlor (was das Problem der Verwendung der bisher überschüssigen Salzsäure löste) und die Fabrikation von konzentrierter Schwefelsäure nach dem Kontaktverfahren. Obwohl R. Knietsch direkter Leiter dieser Projekte war, hätten diese Projekte ohne die stetige Unterstützung B.s kaum realisiert werden können.

Auch später, schon nicht mehr als Leiter der Firma, sondern als Vorsitzender des Aufsichtsrats trat B. entscheidend für die Verwirklichung des Projekts der Ammoniaksynthese ein.

Eben dank seiner Innovationsstrategie konnte B. bereits 1900 konstatieren, dass die Industrie jetzt im Gebiet der Wissenschaft nicht nur empfangen, sondern auch zu geben vermochte, also "die wissenschaftliche Forschung zu fördern und zu bereichern".

Die organisatorische Tätigkeit B.s wurde 1905 durch den Zusammenschluss von BASF, Bayer und Agfa zur "kleinen IG" gekrönt, die sich zum Keim der berühmten IG Farbenindustrie entwickelte.

Eine bedeutende Seite von B.s Aktivitäten, nämlich die Sozialarbeit bei der BASF, soll besonders betont werden. B. ging von der grundsätzlichen Interessenharmonie zwischen Unternehmen und Arbeiterschaft als Basis des sozialen Friedens aus. Bewusst folgte er der Tradition der christlicher Fürsorgepflicht und hatte aufrichtiges soziales Verantwortungsgefühl. (B. war u. a. ab 1895 und bis zum Lebensende aktives Mitglied des Gemeindekirchensrats in Ludwigshafen). Deswegen tat man bei der BASF und B. persönlich auf sozialem Gebiet viel mehr als es damals gesetzlich gefordert war. So gilt B. zu Recht als "Vater der betrieblichen Sozialfürsorge der BASF".

"Ein ganz außergewöhnlicher Mann voller energischer Willenskraft, großer Intelligenz und einem unermüdlichen Schaffensdrang", so Glaser, bleibt B. in der Geschichte der chemischen Industrie nicht so sehr als Forscher oder Erfinder, sondern als genialer Organisator, der den Boden fürs Forschen und Erfinden zu schaffen verstand und deren Ergebnisse in der Großproduktion umzusetzen wusste.

 

 

Q RektoratsA d. TU Zürich: Akte B.; UA Tübingen: 40/31, 81 (Studentenakte B.); 136/140 (1867), 136/145 (1867), 136/50 (1867) (Promotionsakten B.); UnternehmensA d. BASF, W1 Brunck.

 

 

W Über einige Abkömmlinge des Phenols, Diss., Univ. Tübingen, 1867; (mit C. Graebe) Über die Einwirkung von Ätznatron auf Gusseisen, in: Berr. d. Dt. Chem. Ges. 13, 1880, 725f.; Die Entwickelungsgeschichte d. Indigo-Fabrikation, in: Berr. d. Dt. Chem. Ges. 33, 1900, LXXI-LXXXVI; Rudolf Knietsch+, in: ebd. 39, 1906, 4479-4490.

 

 

L K. Saftien, B., in: NDB 2, 1955, 677; O. N. Witt, H. v. B.+, in: Die Chemische Industrie, 34, 1911, 765-770; C. Glaser H. v. B.+, in: Berr. d. Dt. Chem. Ges. 46, 1913, 353-389 (B); H. Grossmann, B., in: Günther Bugge, Buch d. großen Chemiker, Bd. 2, 1930, 360-373; K. Saftien, H. v. B., in: Ludwigshafener Chemiker, Hg. v. K. Oberdorffer, 1958, 11-30; H.-J. Belitz, Begegnung mit H. v. Brunck, in: Blätter für Pfälzische Kirchengeschichte u. religiöse Volkskunde 29, 1962, 101-116; E. Vaupel, Carl Graebe (1841-1927): Leben, Werk u. Wirken im Spiegel seines brieflichen Nachlasses. Diss., Univ. München, 1987, S. 170, 222, 292, 567, 616f., Quellenband, S. 177, 259, 387, 676f.; Carsten Reinhardt, Forschung in d. chemischen Industrie: die Entwicklung synthetischer Farbstoffe bei BASF u. Hoechst, 1863 bis 1914, 1997 (Freiberger Forschungshefte D, 202), S. 98-101, 140f.,156f., 242f.W. Abelshauser (Hg.), Die BASF: Eine Unternehmensgeschichte, 2002, S. 39-158.

 

 

B s. L (Glaser); Lexikon Pfälzer Persönlichkeiten v. Viktor Carl, 2. Aufl. 1998, S. 90; UnternehmensA d. BASF: Bildersammlung, Brunck