Trautz, Max Theodor, Chemiker
* 19. 3. 1880, Karlsruhe, ev., + 19. 8. 1960, Karlsruhe
V Julius Theodor (1845-1897), Oberkirchenrat.
M Marie Luise Laura Johanna, geb. Hauer (1857-1941).
G Friedrich Max (1877-1952); Luise Agnes Marie, verh. Krumm (1878-1920).
oo 1912 (Pembury/Kent, England) Mona Janet, geb. Drysdale (1885-1971).
K Dieter Max Fritz Ferdinand (1914-1941); Fritz Alexander Theodor (1917-2001).
1887-1889 Vorschule in Karlsruhe
1889-1898 Gymnasium in Karlsruhe
1898 X-1900 VII Studium d. Chemie an d. TH Karlsruhe
1900 X -1903 III Studium Chemie an d. Univ. Leipzig
1903 VIII 3 Promotion summa cum laude zum Dr. phil. ebd
1903 X Assistent am Chem. Lab. d. Univ.Freburg
1905 II Habilitation ebd.; Probevorlesung: "Die Prinzipien d. chemischen Kinetik"
1910 II 7 a. o. Prof. für physikal. Chemie ebd.
1910 IV 1 etatmäßiger a. o. Prof. für physikalische Chemie an d. Univ. Heidelberg
1921 XII a. o. Mitglied d. Akad. d. Wiss. Heidelberg
1927 I o. Prof. u. Direktor des Instituts für physikalische Chemie ebd.
1928 VII o. Mitglied d. Akad. d. Wiss. Heidelberg
1934 V-1936 IX o. Prof. u. Direktor des Chem. Instituts
an d. Univ. Rostock
1936 X o. Prof. u. Direktor des Chem. Instituts an d. Univ. Münster
1943 X Ausbombung des Instituts
1944 IX Ausbombung d. Wohnung, Umzug nach
Bomlitz Pulverfabrik Gebr. Wolf
1945 X Emeritierung
1948 Rückkehr nach Karlsruhe
1952 XI Dr. rer. nat. h. c. TH Karlsruhe
Ehrungen: Mitglied d. Heidelberger Akad. d. Wiss (ao. 1921, o. 1928); Dr. rer. nat. h. c. TH Karlsruhe (1952)
In der frühen Kindheit erlitt T. eine schwere Erkrankung, die lebenslange Folgen nach sich zog; seine Gesundheit war stets schwach und schloss einen Militärdienst aus. T. konnte aber seine Schwäche durch unermüdliche Arbeit überwinden und viele fruchtbare Jahre erleben. T. erhielt eine gute Bildung zuerst im Elternhaus. Die Familie und danach das humanistische Gymnasium hatten ihm ein "Verlangen nach Geistesgütern" anerzogen, das für ihn während des ganzen Lebens typisch blieb.
Nach dem Abschluss des Gymnasiums mit Prädikat "gut" studierte T. vier Semester Chemie an der TH Karlsruhe, bestand mit besten Noten das Abschlussexamen und ging nach Leipzig, wo er bei Wilhelm Ostwald physikalische Chemie studierte und summa cum laude zum Dr. phil. promovierte. Er erhielt eine Stelle als Assistent des Chemischen Laboratoriums an der Univ. Freiburg bei dem Organiker Ludwig Gattermann (s. dort) und begann gleichzeitig seine eigenen Forschungen, zuerst auf dem Gebiet der Photochemie, der er seine Habilitationsschrift widmete. Vom Wintersemester 1905/06 an bis zum Sommersemester 1910 lehrte er theoretische Aspekte der Chemie, insbesondere der Photochemie.
Die Jahre in Freiburg waren für die Entwicklung T.s als selbständiger Wissenschaftler entscheidend: Hier entstanden die wichtigsten Forschungsrichtungen seiner Arbeit. T. war der erste, der die Idee über die chemische Aktivierung der Moleküle durch das Licht theoretisch wie experimentell erarbeitete. Dabei verband er die neuesten Planckschen Entdeckungen über die Gesetze der Strahlung mit chemischen Ergebnissen bezüglich der Aktivierung der Reaktionen. Zugleich wandte sich T. der thermischen Aktivierung chemischer Reaktionen zu.
1910 wurde er als etatmäßiger a.o. Professor für physikalische Chemie nach Heidelberg berufen. Er las über "Grundzüge physikalischer Chemie", aber auch über deren ausgewählte Kapitel, so "Physikalische Chemie der Lösungen" oder "Aktivierung und Katalyse".
Auch seine wissenschaftlichen Forschungen setzte er fort. Seine Arbeitsbedingungen waren sehr ungünstig, das Labor war vollgepackt und organisatorisch war T. eingeengt. Trotzdem konnte er, von morgens bis abends tätig, wichtige experimentelle Arbeiten über die chemische Kinetik der Gasreaktionen und über physikalische Eigenschaften der Gase und der binären Gasgemische durchführen. Einige von ihm gefundene Gesetzmäßigkeiten bei Gasgemischen wurden viele Jahrzehnte angewandt. Außerdem verfasste er - noch in Freiburg geplant - ein Praktikumsbuch und ein Lehrbuch über die Allgemeine Chemie. Nachdem 1926 Karl Freudenberg (s. dort) als neuer Leiter der Heidelberger Chemie gekommen war, wurde T. zum persönlichen o. Professor und Direktor des neuen Instituts für physikalische Chemie befördert und erhielt für das Institut ein eigenes Haus (das ehemalige Wohnhaus Bunsens und Curtius'). Freudenberg unterstützte T. später weiter: Er empfahl ihn als Nachfolger von Paul Walden, als Direktor des chemischen Instituts an der Univ. Rostock. 1934 übernahm T. diese ehrenvolle Stelle. Nach fünf Semestern wechselte er aber an die etwa gleichbedeutende Stelle an der Univ. Münster.
In Rostock und Münster arbeitete T. vorzüglich über verschiedene anorganische Reaktionen, teilweise für die synthetische Anwendung. Während der Zeit des 3. Reichs war T. loyal gegenüber dem Regime - seine Einstellung war, wie er sagte, "stets im nationalen Sinne". Er nahm also die formellen "Spielregeln" an, wurde aber kein Mitglied der NSDAP und hatte weder als Rektor noch als Dekan eine Position inne, bis auf das Jahr 1933 in Heidelberg, als der jüdische Dekan entlassen worden war.
Nachdem sein Institut und seine Wohnung durch Luftangriffe zerstört worden waren, sah sich T. gezwungen, seine wissenschaftliche Tätigkeit aufzugeben und nach dem Städtchen Bomlitz zu übersiedeln, wo er, durch Vereinbarung mit der Universitätsleitung, Unterkommen und Beschäftigung bei der dortigen Pulverfabrik fand. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte T. in seiner Heimatstadt Karlsruhe und konnte sich noch der Anerkennung seiner Leistungen durch die Zeitgenossen erfreuen. Jene, die ihn kannten, schätzten besonders seine, so Freudenberg, "absolut lautere Persönlichkeit".
190 Publikationen T.'s umfassen ein sehr breites Spektrum von Themen. Ein unermüdlicher Arbeiter, beherrschte er die ganze damalige Chemie. Sein Lehrbuch über die Allgemeine Chemie (mehr als 140 Druckbogen) ist besonders interessant als der wohl letzte Versuch, die gesamte Chemie, die theoretische und experimentelle, die beschreibende und konzeptuelle, die organische und anorganische, in einem Buch als eine Einheit darzustellen. Noch heute ist die Konzeption dieses Werks beispielhaft. Seine eigenen Forschungen schließen Beiträge zur Elektrochemie, Photochemie, präparativen anorganischen Chemie, besonders aber zur physikalischen Chemie ein, vor Allem zur chemischen Kinetik. Ab 1904 entwickelte T. die sog. Strahlungshypothese, nach der die in einem Reaktionsbehälter reagierenden Moleküle durch die infrarote Strahlung der Wände aktiviert werden. Die Hypothese erschien fruchtbar für die Entwicklung der chemischen Kinetik und fand während zweier Jahrzehnte zahlreiche Vertreter, aber auch Gegner. Obwohl sie letztendlich widerlegt wurde, führte sie T. zu einigen richtigen Ergebnissen, die von großer Bedeutung wurden.
Einerseits wählte T. von 10 verschiedenen Formeln für den Temperaturkoeffizienten der Reaktionsgeschwindigkeit die Arrheniussche, die damals nicht die gebräuchlichste war, und konzipierte 1910 den Begriff der Aktivierungsenergie als einer neuen, nicht stoffspezifischen, sondern reaktionsspezifischen Energiegröße. Im Alter nannte T. die Aktivierungsenergie "mein liebstes wissenschaftliches Kind".
Andererseits kam T. 1916, auch dank der Strahlungshypothese, wie auch später William Lewis (1885-1956), zur Stoßtheorie der chemischen Reaktionen. So konnte er den Präexponentialfaktor (Frequenzfaktor) in der Arrheniusschen Formel ermitteln. Erst in den 1930er Jahren wurde die Stoßtheorie durch die Theorie des Übergangskomplexes ersetzt.
Ein weiterer wichtiger Beitrag zur chemischen Kinetik war die Entdeckung und Erforschung der ersten echten monomolekularen Reaktion (1922), nämlich die Isomerisation des Zyklopropans ins Propylen. T. hat, besonders dank seiner Forschungen zur chemischen Kinetik, in der Geschichte der Chemie seinen Platz.
Q UA Freiburg, Auskunft; UA Heidelberg: PA 6113, PA 6114, Rep. 14-5, HAW 477; UB Heidelberg Hs 3695E; GLA Karlsruhe 235/2598;, UA Rostock, Phil. Fak. Nr. 272, Personalakte; UA Münster, Auskunft; UA Karlsruhe, 0/1/52,0/1/810.
W Zur physikalischen Chemie des Bleikammerprozesses (Diss.), Zs. für physik. Chem. 1904, 47, 513-610; Studien über Chemiluminiszenz (Habilitationsschrift), ebd. 1905, 53, 1-111; Der Temperaturkoeffizient chemischer Reaktionsgeschwindigkeiten, 1908, ebd. 64, 53-88, 1909, 66, 496-511, 67, 93-104, 1910, 68, 295-315, 1911, 76, 129-144; Beitrag zur chemischen Kinetik, Zs. Elektrochem. 1909, 15, 692-695; Geschwindigkeit von Gasreaktionen, ebd. 1912, 18, 513- 520; Das Gesetz d. Reaktionsgeschwindigkeit u. d. Gleichgewichte in Gasen, Zs. für anorg. u. allg. Chemie, 96, 1916, 1-28; Praktische Einführung in die Allgemeine Chemie: Anleitung zu physikalisch-chemischem Praktikum u. selbständiger Arbeit, 1917; Verlauf d. chemischen Vorgänge im Dunkeln u. im Licht, Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. Heidelberg, 1917, 8, A14, 1-36; Das Gesetz d. thermochemischen Vorgänge u. das d. photochemischen Vorgänge, Zs. für anorg. u. allg. Chem., 1918, 102, 81-129; Galvanische Elemente, Handbuch d. Elektrizität u. des Magnetismus, von L. Graetz, Bd. l, 1918, 421-698; (mit K. Winkler) Die Reindarstellung des Trimethylens, Journ. für praktische Chemie 104, 1922, 37-52; (mit K. Winkler) Die Geschwindigkeit von Ringsprengungen in Gasen. Trimethylenisomerisation, ebd., 53-79; Lehrbuch d. Chemie, Bd.I-III, 1922-1924; August Friedrich Horstmann, Ber. Dt. Chem. Ges. 1930, 63 A, 61-86; Abbrandsreaktionen (mit J. D. Holtz), J. für praktische Chemie. 1937, 148, 225-265; Vorstellung von chemischen Reaktionsereignissen: einiges über Ursprung, Leistung u. Grenzen davon, ebd. 1943, 162, 121-147.
L Poggendorffs Biogr.-lit. Handwörterbuch, V (1926), 1267f, VI, Teil 4, (1940), 2683f., Vlla, Teil 4 (1962), 705f. (mit Bibliographie);Baden-Württ. Biogr. II (1999) 421-423; DBE, 2. Aufl. 10; Reichshandbuch d. deutschen Gesellschaft, 1931, 1919 (B); G.-M. Schwab, Zu M. T.s 75. Geb., in: Ber. d. Bunsengesellschaft 59, 1955, 139f.(B); I.N. Stranski, M. T.+, ebd., 65, 1961, 401f. (B); P. Günther, M. T. +, Sitzungsber. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., Jahresheft 1961/62, S. 40f.; M.Chr. King & K. J. Laidler, Chemical Kinetics and Radiation Hypothesis, Archive for History of Exact Sciences 30, 1984, 45-86; Laidler, Keith J. The World of Physical Chemistry, Oxford University Press, 1993. p. 244f., 262f., 450.
B s. L; Photos im UA Heidelberg u. im UA Rostock