JäneckeErnst Georg Gustav, Chemiker.

* 04.03.1875 Alt-Warmbücher (bei Burgdorf in Hannover), ev., + 04.01.1957 Heidelberg.

 

Publiziert in den "Baden-Württembergischen Biographien", Bd. III (2002), S. 174-176 

 

V  Georg Friedrich William (1831-1908), Hof- und  Ziegeleibesitzer zu Alt-Warmbücher;

M  Johanne Auguste Karoline, geb. Warnecke (1844-1904).

G:  Marie J., verh. Hempel, (1869-1930); Karl J. (1871-1931); Willy J. (1872-1928); Louis J. (1878-1960).

 

oo 07.10.1909 Hedwig Smend (1886-1920)

oo 08.09.1921 Liesel Velde (1895-1966)

Jürgen (1910-1922); Hilde, verh. Kisselmann, (geb. 1912); Ludwig (Lutz) (1918-1944); Günther (1923-1942); Horst (1924-1945); Joachim (geb. 1929).

 

1881 - 1894                            Realgymnasium I in Hannover

1894 - 1895                            Studium  TH Hannover

1895/96                                  Studium  Univ. Göttingen

1896 -1897                             Studium  Univ. München

1897 - 1898                            Studium  Univ. Berlin

1898                                       Promotion zum Dr.phil., Univ. Berlin

1899 - 1900                            Einjährig-Freiwilliger im Füsilier Regt. 73  Hannover

1900 - 1905                            Assistent am Anorganisch-Chemischen

                                               Laboratorium, TH Hannover

1905                                       Habilitation zum Privatdozent für  physikalische Chemie

                                               ebd.; Probevortrag "Chemismus d. Legierungen"

1912                                       Prädikat Professor ebd.

1920                                       Tod der Ehefrau nach nur 4 Tage  Kranksein;

                                               Eintritt a. d.. Forschungslaboratorium d. BASF

                                               Ludwigshafen

1921                                       Übersiedlung nach Heidelberg

1930                                       Dr.-Ing. E.h. TH Aachen

1931                                       o.Honorarprofessor für physikal. Chemie a. d.

                                               Univ. Heidelberg

1935                                       Pensionierung von der BASF, Ende d. Experimentalarbeit

1955                                       Beendigung d. Vorlesungen

 

 

J. entstammt einer alten hannoverschen Familie. Sein Großvater war der Gründer des "Hannoverschen Kuriers" und der Firma "Gebr. Jänecke & Schneemann. Druckfarbenfabrik". J.s Vater besaß eine Ziegelei, die er später verkaufte, zog nach Hannover um und trat 1878 bei "Gebr. Jänecke & Scneemann" ein. Wahrscheinlich weckte dieses Unternehmen, ein Druckfarbenhersteller, das technologische Interesse seiner Söhne. Seine Kindheit schildert J. als fröhlich und glücklich. Bis ins hohe Alter hielten sich die besten Beziehungen zwischen den Geschwister. Die Erziehung in der Familie prägte J.s Arbeitsfleiß, der während des ganzen Lebens für ihn typisch war. Als Knabe besuchte J. das Realgymnasium I in Hannover. In den letzten Schuljahren trat seine Begabung in Mathematik hervor, die später seine ganze Tätigkeit grundlegend bestimmte. In der Prima erstellte J. seine erste selbständige Arbeit, indem er alle 15 halbregelmäßigen mathematischen Körper, die sogenannten archimedischen Körper berechnete und körperlich darstellte, woran er sich nicht ohne Stolz im Alter erinnerte. In der Oberprima wurde J. "Primus Omnium". Wie sein Zeugnis der Reife zeigt, bekam J. "sehr gut" in Mathematik, in Chemie, Zeichnen und Turnen, wie auch für "Betragen und Fleiß"; in fast allen anderen Fächer erhielt er die Note "gut".

 

Es folgten Studienjahre an der TH Hannover und an den Universitäten Göttingen, München und Berlin. In Hannover hörte J. besonders, den Mathematiker C. Runge, in Göttingen, den Physikochemiker W. Nernst, in München, den Organiker A. v. Baeyer. In Berlin schloß J. cum laude in den Fächern Chemie, Physik, Mathematik, Philosophie. Letztere war damals "Zwangsfach"; Mathematik war für Chemiker selten. Bei Emil Fischer promovierte J. als Organiker. Sein Dissertationsthema lautete "Über Amidodiäthylketon, Amidodiäthylcarbinol nebst einigen Derivaten".

 

Sein zweiter Lehrer war Physikochemiker J. H. van't Hoff, dem J., mit dessen Genehmigung, später sein bedeutendes Buch über gesättigte Salzlösungen widmete. Nach der Promotion arbeitete J. 4 Monate vor dem Militärdienst als Chemiker bei "Gebr. Jänecke & Schneemann", später, 1905-1906, für 9 Monate im Kaliwerk Benthe AG bei Hannover. Die Erfahrung bei diesen Unternehmen, wie auch zuvor van't Hoffs Vorlesung, richtete Js. Interesse auf die angewandte physikalische Chemie und auch auf eines ihrer damals wichtigsten theoretischen Gebiete, nämlich die Phasenlehre, welcher er bis zum Lebensende treu blieb.

 

Nach Ableistung seiner Militärdienstpflicht als Einjährig-Freiwilliger trat J. als Assistent am Anorganisch-Chemischen Laboratorium der TH Hannover an und führte hier seine erste Forschungsarbeit im obengenannten Gebiet durch: "Über die Auffindung chemischer Verbindungen von Metallen unter sich mit Hülfe von Schmelz- und Erstarrungskurven. Anwendung der Methode auf Legierungen von Na-K-Hg-Cd". Dies wurde seine Habilitationsschrift. Als Privatdozent las J. über Phasenlehre, Metallographie und Kalilager Deutschlands. Gleichzeitig wurde er Assistent am Bauingenieurslaboratorium der TH und leitete dessen chemische Abteilung. Parallel dazu führte er seine wissenschaftlichen Forschungen durch. Er fand eine neue Methode der Darstellung der Sättigungsverhältnisse von kompliziert zusammengesetzten Salzlösungen (1906-1908). Diese "Jänecke-Diagramme", seine bedeutendste wissenschaftliche Leistung, wurden nach sorgfältiger Überprüfung durch van't Hoff anerkannt, aber zunächst überwiegend im Ausland angewandt. Sie werden bis heute in der Technologie und der Forschung genutzt. J. selbst hat seine Diagramme zur Erklärung der Bildung deutscher Kalisalzlager angewandt. Außerdem wandte J. die Phasenlehre bei verschiedenen technischen Objekten an: Er befaßte sich mehrfach mit Untersuchungen über Legierungen, über Phasengleichgewichte in Fluidengemischen (z.B. aus Wasser, Kohlensäure und Ammoniak), über Kalilager und über Zement. Ein Zementklinkerbestandteil wurde nach ihm "Jäneckeit" genannt.

 

J. trug viel zur Verbreitung von Erkenntnissen über die Phasenlehre durch mehrere Übersichtsartikel und Bücher bei. Für Jahrzehnte blieb J. fast der einzige bedeutende Vertreter und Verfechter der Phasenlehre in Deutschland. Erwähnt seien auch seine auf die Phasenlehre fußende späteren Betrachtungen über die Schrumpfung der Erde, den Zustand des Erdinnern und über die Entstehung der Planeten. J. hatte offenkundige Neigung, Aufsätze zu verfassen und schrieb über verschiedene Gegenstände, z.B. über einen Mörtel aus dem spätrömischen Kastell Altrip oder: "Kann man aus der Spur eines Rades die Fahrrichtung erkennen?". Insgesamt publizierte er, einschließlich Neuauflagen und Übersetzungen, 220 wissenschaftliche Aufsätze.

 

J. blieb an der TH Hannover bis 1920. In diesem Jahr verließ er wegen des unerwarteten Todes seiner Frau seine Heimatstadt und wechselte von der akademischen Tätigkeit zu einer industriellen. Er folgte, dank Vermittlung von Prof. M. Bodenstein und seinem Freund Dr. M. Buchner, dem Ruf der BASF nach Ludwigshafen. Nach vier Monaten in Mannheim (vom September 1920 bis Februar 1921) zog J. nach Heidelberg um, wohin seine Kinder aus Hannover gefolgt waren. Während seiner Jahre bei der BASF arbeitete er über die Technologie der Salze zur Düngerherstellung. Hierher gehören mehrere Erfindungen, die aus seiner Erfahrung mit der angewandten Phasenlehre stammten. Insgesamt erlangte J. die Patente für 24 Erfindungen, teilweise zusammen mit seinen Mitarbeiter. Es glückte ihm aber nicht, die industrielle Anwendung dieser Erfindungen zu erreichen.

 

Interessanterweise nahm im Jahr 1999 eine amerikanische Chemiefirma Kontakt mit dem Sohn von J. auf, um Zugang zu den zahlreichen Veröffentlichungen aus dieser Zeit zu erhalten. Die Arbeiten über Ammoniumnitrat und andere Düngersalze seien noch heute wesentlich auf diesem Gebiet und wurden deshalb ins Amerikanische übersetzt. Jedes Jahr werden noch etwa drei seiner damaligen Veröffentlichungen im sog. "Citation-Index" erwähnt.

 

Bereits während der Einstellungsgespräche bei der BASF bat J. inständig, gleichzeitig Vorlesungen an der Universität Heidelberg halten zu dürfen. Sein Wunsch wurde jedoch abgelehnt, und J. hielt nur eine längere Vortragsreihe für die Herren von der BASF. Erst im Wintersemester 1931, konnte er als ordentlicher Honorarprofessor für physikalische Chemie, an der Universität zu lesen beginnen. Obwohl seit 1935 im Ruhestand, führte er seine Vorlesungen und Seminare über verschiedene Themen aus der Phasenlehre bis ins Alter von 80 Jahren durch, wobei er eigene geometrische Drahtmodelle benutzte, die er seit 1905 herstellte. Nach dem Krieg nahm er als erster wieder den Lehrbetrieb in seinem Institut auf und konnte im ersten Friedenssemester 1945/46 vor 50 Zuhörern lesen.

 

J. war kein politischer Mensch; er gehörte nie der NSDAP an (wie auch keiner anderen Partei). Wie sein Sohn mitteilt, (und einige Privatdokumente bestätigen), war J. "gegen Hitler eingestellt, hat das aber nie offen ausgesprochen". Drei ältere Söhne hat J. im Krieg verloren. Seine letzten zehn Jahre wurden durch die Vertreibung aus seinem Haus verdüstert, das für die amerikanische Verwaltung genutzt und ihm erst kurz vor seinem Tod zurückgegeben wurde. Trotz allem arbeitete J. unermüdlich und war bis zu seinen letzten Tagen um die Ergänzungen zu seinem Buch über Legierungen bemüht. Die Arbeit erfüllte sein ganzes Leben. "Mit Konzert, Theater, Kino hat er nichts gehabt", wie seine Tochter sich erinnert. Als Erholung diente ihm seine "Fotoleidenschaft" und später die Arbeit im Garten. Daneben "liebte er Geselligkeit" . Uneigennutz und stete Einsatzbereitschaft zeichneten sein Leben und Wirken aus.

 

Q Dokumente im Familienbesitz; StadtA Hannover; UA Hannover; UnternehmensA der BASF: W 1, Jänecke; UA Heidelberg: PA 4353; Rep.27, Nr. 641; StadtA Heidelberg; StadtA Mannheim.

 

W Neue Darstellungsform der wässerigen Lösungen zweier und dreier gleichioniger Salze..., Zs. anorg. Chemie, 1906, Bd. 51, S. 132-156; Gesättigte Salzlösungen vom Standpunkt der Phasenlehre. Halle 1908; Die Entstehung der deutschen Kalisalzlager. Braunschweig, 1915, 2. Aufl. 1923; Kurzgefasstes Handbuch aller Legierungen. Leipzig, 1937, 2. Aufl. Heidelberg 1949; Die Welt der chemischen Körper bei hohen und tiefen Temperaturen und Drucken. Weinheim, 1950.

 

L J. C. Poggendorff, Biographisch-literarisches Handwörterbuch, Bd. V, S. 580-581, VI, S. 1217, VIIa, S. 603-604 (mit d. Bibliographie); Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft, Berlin, 1931, S.841 (B); Nachrichten aus Chemie und Technik, Jg.3,

7. März 1955, S.50 (B); Deutsches Geschlechterbuch, Bd. 177, 1978, S. 356, 399; Catalogus Professorum. Der Lehrkörper der TH Hannover 1831-1956, S. 44 (B); Catalogus Professorum d. Univ. Hannover, 1981, S. 127 (B).

 

B s. L