Ziegler, Karl Waldemar, Chemiker, Nobelpreisträger
*26.11.1898 Helsa (Landkreis Kassel); ev.; + 11.08.1973 Mülheim a.d. Ruhr.

 

V Karl August Z., Dr., evangelischer Pfarrer (1858-1933);

M Luise Helene Caroline, geb. Rall (1862-1934);

G 3 Wilhelmine Charlotte Hedwig Z.(1890-1951); Luise Klara Auguste Z. (1892-1947); Carl Otto Heinrich Z. (1894-1927);

oo1922  (Marburg) Maria Mathilde Kurz (1899-1980); K 2 Marianne, verh. Witte (geb.1925); Erhart Z. (geb.1927)

 

1915                     Abschluss des Realgymnasiums in Marburg
1915-1916            Dienst bei d. Deutschen Südarmee als Freiwilliger in d. 

                             Krankenpflege
1916-1920            Studium an d. Univ. Marburg
1918, VI-XI            Kriegsdienst bei Jägerformationen
1920 VII 28            Promotion zum Dr. phil. an d. Univ. Marburg; Diss.:

                              "Untersuchungen über Semibenzole u. verwandte Verbindungen"

1919 V-1925 III      Assistent im Chemischen Institut ebd.
1923 XII 18            Habilitation ebd.: "Zur Kenntnis des 'dreiwertigen' Kohlenstoffs:

                              Über Tetra-aryl-allyl Radikale u. ihre Abkömmlinge"                           

                              Probevorlesung: "Über die Anwendung Wernerscher Ideen auf die

                              Organische Chemie"
1925-1926             Stellvertretender Abteilungs-Vorsteher am Chemischen Institut d.

                              Univ. Frankfurt/M
1926 VI 12             Privatdozent (ab 24 März - Assistent) am Chemischen Institut d.

                              Univ. Heidelberg; Antrittsvorlesung: "Über natürliche u. künstliche

                              Synthesen organischer Materie"
1928 I 12                a.o. Professor ebd.
1936 II-III                Gast-Professor an d. Univ. 
Chicago, U.S.A.
1936 X-1943IX       Professor an d. Univ. Halle (o. Professor u. Direktor des

                               Chemischen Instituts - vom 1.3.1938) 
1943 X-1969 VII      Direktor des Kaiser-Wilhelm- bzw. Max-Planck-Instituts f.

                               Kohlenforschung, Mülheim (Ruhr)
1946 IX -1951XII     D. erste Vorsitzender d. neugegründeten Gesellschaft Deutscher

                               Chemiker (bis 1949 - Gesellschaft Deutscher Chemiker in d.

                               britischen Zone)
1954-1957              Präsident d. Deutschen Gesellschaft f. Mineralölwissenschaft u.

                               Kohlechemie
1963                       Nobelpreis f. Chemie (zusammen mit G.Natta)

 

Z. wurde als jüngstes Kind eines promovierten evangelischen Pfarrers geboren. Die ersten Schuljahre verbrachte er in Kassel, 1910 übersiedelte die Familie nach Marburg, wo Z. die für seine Entwicklung entscheidenden 15 Jahre lebte. Der lernbegierige und talentvolle Junge begann bereits als Elfjähriger sich selbständig mit der Chemie zu beschäftigen. In Marburg richtete er ein kleines Labor zu Hause ein. Mit 16 (im März 1915) erhielt Z. von einer Stiftung den ersten Preis seines Lebens - eine Wochenreise zum Besuch des Deutschen Museums in München, was zum großen Erlebnis für ihn wurde. Als Z. sein Studium an der Universität begann, konnte er seinen akademischen Lehrern, K. von Auwers und Wilh. Strecker, "beweisen", so er selbst, dass er "den Stoff der ersten zwei Semester bereits beherrschte". Er studierte Chemie mit Physik und Mineralogie als Nebenfächern und konnte nach nur zwei Jahren die beiden Verbandsexamina bestehen.


Danach unterbrach er sein Studium im Juni 1918, um als Jäger in den Heeresdienst einzutreten. Von Anfang August bis zum Kriegsende war Z. bei verschiedenen Jägerformationen im Felde und machte die letzten Kämpfe mit. Diese Erfahrungen haben aus ihm, so Z., "keinen begeisterten Soldaten gemacht"; sie bestimmten seine Antikriegseinstellung.


Nach Marburg zurückgekehrt, betrieb Z. seine Doktorarbeit. Schon vor der Promotion bekam er eine Assistentenstelle in der organischen Abteilung des Chemischen Instituts. Nach der Promotion musste Z., wie von Auwers verlangt, mit selbständigen Arbeiten beginnen. Er wählte ein modernes Thema und zwar über sog. freie Radikale. Er habilitierte sich mit einem wichtigen Beitrag zu diesem Gebiet, wobei er physikalisch-chemische Forschungen von freien Radikalen eröffnete - ein neuer Bereich, den Z. während der nächsten 27 Jahre erfolgreich bearbeitete. Es ist für Z. charakteristisch, dass er nach der Habilitation gleichzeitig mit Vorlesungen (er las insbesondere über "Stereochemie" und über "Moderne Valenzprobleme der organischen Chemie") auch als Assistent der anorganischen Abteilung tätig war "zur Vervollständigung meiner Ausbildung", wie er schrieb.


Zwei Semester war Z. nach Frankfurt beurlaubt, wo er den fehlenden Abteilungs-Vorstand am chemischen Institut vertrat. Karl Freudenberg (s. dort), der begabte Mitarbeiter suchte und Z. bereits kannte, gewann ihn aber für Heidelberg. "Nach einem Jahr,- berichtete Freudenberg im März 1930, - hatte Ziegler die [organische] Abteilung fest in der Hand". "Die Studenten, die Anfangs unter seinen Anforderungen stöhnten, sind sehr bald gefügig geworden und folgen ihm bedingungslos. Sein Vortrag ist mustergültig klar, die Vorlesung ist dementsprechend ausgezeichnet besucht".

 

In Heidelberg begann Z. seine grundlegenden Untersuchungen über alkalimetallorganische Verbindungen - damals noch curiosa der organischen Chemie - selbstentzündlich und mit Wasser heftig explodierend. Sein Interesse an diesen Stoffen war bereits in Marburg geweckt dank einer Nebenbeobachtung. Jetzt erforschte Z. sie insbesondere unter dem Aspekt der Polymerisation von Butadien zum Kautschuk mit Alkalimetallen als Katalysatoren. Butadien bekam er von der BASF (damals IG Farbenindustrie, Werk Ludwigshafen) und Freudenberg berichtete 1930 über "ein besonderes Talent" Z.'s: "er hat stets Hilfsquellen für seine Arbeit, findet die Unterstützung der Notgemeinschaft und Industrie und wirtschaftet ohne den Institutsetat zu belasten". Z. zeigte, dass es sich bei der Polymerisation um eine metallorganische Synthese handelt: Die Zwischenstufen sind metallorganische Verbindungen, die in der Lage sind, weitere Butadienmoleküle anzulagern. Erfahrungen bei diesen Studien ermöglichten Z. außerdem, eine neue Arbeitsrichtung zu erschließen, und zwar die Synthese vielgliedriger Ringsysteme. Eines des wichtigsten Ergebnisse der Heidelberger Periode war die Entdeckung eines universellen Verfahrens zur Herstellung lithiumorganischer Verbindungen. Später entwickelte sich diese Entdeckung zu einem riesigen Forschungsgebiet der Chemie.


Die Jahren 1933-1936 in Heidelberg brachten Z. "manchen Kummer". "Beide Eheleute sind ausgesprochene Gegner der Nationalsozialistischen Bewegung",- berichtete der ND-Wart der Ortsgruppe über Z. dem Kultusministerium im Februar 1934. In einer anderen Denunziation stand geschrieben: "In demonstrativer Weise verkehrt er öffentlich fast nur mit einer jüdischen Familie und bei Gelegenheit der Volksfeste bekundet er keinerlei Teilnahme. Es war z.B. am Geburtstage des Führers in seiner Wohnung kein Zeichen, keine Fahne, nichts dergleichen". Deswegen konnte Z. keinen Ruf bekommen (insbesondere nach Karlsruhe und nach Frankfurt, obwohl ihn die dortigen Dozentenschaften wünschten).

 

Erst 1936, teilweise dank einer sehr klug aufgebauten Unterstützung Freudenbergs, bekam Z. den Lehrstuhl in Halle, allerdings zunächst als Vertreter. (Zum o. Professor und Institutsdirektor wurde er erst 1938 berufen). Laut vorhandenem Zeugnis (Prof. M. Becke-Goehring) kam "frischer Wind" mit Z. in das Institut. "Ein großes Glück war, daß Z. kein Nazi war. So konnten wir in dem Institut politisch frei leben" Auch hat Z. "im Krieg viele junge Menschen vor der Front bewahrt". Die Jahre in Halle betrachtete Z. selbst später als "Zwischenspiel". Von seinen damaligen Forschungen ist insbesondere die "Zieglersche Bromierung", eine hochselektive Reaktion der organischen Synthese, von Bedeutung.


1943 erhielt Z. den Ruf, als Nachfolger Franz Fischers (s. dort) nach Mülheim an der Ruhr, um das Kaiser-Wilhelm-Institut für Kohlenforschung zu leiten. Z. schwankte, weil er seine Schüler in Halle weiter führen wollte; bis 1945 pendelte er zwischen Mülheim und Halle (In Halle wurde er zuerst für die Dauer des Krieges zur kommissarischen Wahrnehmung der Dienstgeschäfte des Direktors des Kaiser-Wilhelm-Instituts beurlaubt.) Er nahm den Ruf unter der Bedingung an, dass er "volle Freiheit erhalten müsse", sich "im gesamten Bereich der Chemie der Kohlenstoffverbindungen zu betätigen". Später konnte Z. beweisen, dass diese Freiheit reiche Ernte bringt. Unter Z.'s Leitung wurde das Institut (im Juli 1949 in "Max-Planck-Institut für Kohlenforschung" umbenannt) wesentlich umgebaut und erweitert; u.a. wurden einige physikalische Laboratorien, sowie die Hochdruck-Versuchsanlage erstellt und die neue Abteilung für Strahlenchemie errichtet. Das Institut wurde, so Z., "zu einer der bekanntesten Heimatstätten der Chemie der metallorganischen Verbindungen in der Welt".

 

Aufgrund fundamentaler Forschungen waren in Mülheim mehrere neue technische Verfahren gefunden worden - insbesondere zur Herstellung von Bleitetraäthyl, zur Herstellung höherer primärer Fettalkohole aus Olefinen, zum Auftragen elektrolytischer Schutzüberzüge aus reinstem Aluminium auf andere Metalle, zur elektrolytischen und zur rein chemischen Aluminiumraffination. Zum Höhepunkt dieser Forschungen wurde die Entdeckung der gemischten metallorganischen Katalysatoren (aus Aluminium- und Titanverbindungen), die Polymerisation von Äthylen unter normalen Druck ermöglichten. 1953 patentierte Z. diese Pioniererfindung. Nach zehn Jahren stürmischer Entwicklung des Verfahrens - Z. verglich sie mit einer "Explosion" - wurde an Z. (zusammen mit G. Natta) die Nobelpreis "für ihre Entdeckungen in der Chemie und in der Technologie der hochpolymerisierten Stoffe" verliehen.


Die Lizenzierung der Verfahren auf Basis der "Ziegler-Katalysatoren" machte sein Institut finanziell unabhängig und hat Z. die Gründung des "Ziegler-Fonds" ermöglicht, mit dessen Hilfe das Institut zu einer besteingerichteten Forschunsanstalt der Welt wurde. Es ging damals der Witz, daß Z. "der letzte Al-Chimist" sei, denn er über Aluminium forscht und daraus Gold macht".


Außer Forschungsarbeit hat Z. nach dem Krieg viel dazu beigetragen, "der Chemie in Deutschland wieder den Anschluss an die internationale Wissenschaft anzubahnen". Er gab die dreibändige "Präparative organische Chemie" heraus - ein Bericht über Chemie in Deutschland während 1939-1946. Er stand von Anfang an der Spitze der neugegründeten "Gesellschaft Deutscher Chemiker" und schuf internationale Kontakte der Naturwissenschaft Deutschlands. Z. trat aktiv für die Freiheit der Wissenschaft ein. Seine These war: "Die Forschung lebt und bestimmt ihren eigenen Weg". Seine wichtigsten Erfindungen, behauptete er, "können ...als ein Musterbeispiel für die Notwendigkeit und den Wert der voraussetzungslosen reinen wissenschaftlichen Forschung angesehen werden".


Die ganze Tätigkeit Z.'s ist durch große Klarheit des Denkens gekennzeichnet, was sich sogar in dem Stil seiner Schriften widerspiegelt, sei es Lebenslauf, wissenschaftlicher Artikel oder populärer Aufsatz. Z. wurden viele Ehrungen zuteil, von dem Orden "Pour le Mérite" (für Wissenschaft und Kunst) bis zur Ernennung zum Ehrenhäuptling der Ponca Indianer. Seines vielseitigen Natur entsprechend, war Z. ein begeisterter Liebhaberastronom, ein guter Alpinist, reiste gern in alle Weltteile, liebte Musik, sammelte mit seiner Frau Bilder des 20. Jahrhunderts (diese kostbare Sammlung wurde an die Stadt Mülheim vererbt). Als Mensch war er hilfsbereit, witzig und warmherzig. Herausragend war die große Persönlichkeit Z.'s aber allererst durch Wissensdurst und Freude am Forschen.


Q Landeskirchliches A Kassel (Personalakten Landeskirchenamt, Nr. 1332 und 1333); StadtA Marburg (Auskunft); UA Marburg (Phil. Fak., acc. 933/7-423; Auskunft); StadtA Heidelberg (Auskunft); UA Heidelberg (PA 6473; Rep 14-80, 14-320, 14-574, 14-803, 14-883); GLA Karlsruhe (235/2681); UA Halle (Auskunft); StadtA Müllheim a. d. Ruhr (Auskunft); Max-Planck-Institut für Kohlenforschung (Auskunft); Informationen von Frau Dr. Marianne Witte, geb. Ziegler und von Herrn Dr. Erhart Ziegler.

 

W Über Alkalimetall als Reagens auf abgewächte Valenzen in organischen Verbindungen (mit F. Thielmann), Berr. d.  Dt. Chem. Ges., 56, 1923, 1740-1745; Über den vermutlichen Mechanismus der Polymerisationen durch Alkalimetalle (mit K. Bähr), ebd., 61, 1928, 253-263; Probleme und Ergebnisse der neueren Erforschungen der freien Radikale, Angew. Chemie, 43, 1930, 915-919; (mit H. Colonius) Untersuchungen über alkali-organische Verbindungen, V. Eine bequeme Synthese einfacher Lithiumalkyle,  Liebigs Ann. d. Chem., 479, 1930, 135-149; Die Bedeutung der alkalimetall-organischen Verbindungen für die Synthese, Angew. Chemie, 49, 1936, 455-460, 499-502; (mit Mitarbeitern) Die Halogenierung ungesättigter Substanzen in Allylstellung, Liebigs Ann. Chem., 551, 1942, 80-119; Aluminium-organische Synthese im Bereich olefinischer Kohlenwasserstoffe, Angew. Chemie, 64, 1952, 323-329; (mit Mitarbeitern) Metallorganische Verbindungen, XIX: Reaktionen der Aluminium-Wasserstoff-Bindung mit Olefinen, Liebigs Ann. Chem., 1954, 589, 91-121; Die Unteilbarkeit der Forschung - erläutert an Arbeiten des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung, Glückauf, 91, 1955, 1266-1272; (mit E. Holzkamp, H. Breil und H. Martin) Das Mülheimer Normaldruck-Poyäthylen-Verfahren, Angew. Chemie, 67, 1955, 541-547; Folgen und Werdegang einer Erfindung (Nobelvortrag 12.12.1963), ebd., 76, 1964, 545-553; A Forty Years' Stroll trough the Realms of Organometallic Chemistry, Advances in Organometallic Chemistry, 6, 1968, 1-17.

 

L Les Prix Nobel en 1963, p. 30-32, 100-101 (B), 117; G. Wilke, K. Z. 70 Jahre, Chemie in unserer Zeit, 2, 1968, 194-200 (B); G. Hesse, K. Z. +, Jb. d. Bayer. Akad. d. Wiss., 1974, 202-205 (B); G. Wilke, Nachruf auf K. Z., Ann. Chem., 1975, 804-833 (mit Schriftenverz.; B); C. E. H. Bawn, K. Z., Biographical Memoirs of Fellows of the Royal Society, 21, 1975, 569-584 (B); J. J. Eisch, K. Z.: Master Advocate for Unity of Pure and Applied Research, Journal of Chemical Education, 60, 1983, 1009-1014 (B); M. Rasch, K. Z.s Berufung 1943 zum Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Kohlenfoschung, Zs. des Geschichtsvereins Mülheim a. d. Ruhr, H. 70, 1998, 155-206 (B); Siegfried Heimlich, Porträts in Plastik: Pioniere des polymeren Zeitalters, 1998, 129-135; K. Hafner, Hommage an K. Z., Nachr. aus Chemie, Technik u. Laboratorium, 47, 1999, 24-29 (B).

 

B s. L; UA Heidelberg; StadtA Mülheim