QUINCKEGeorg Hermann, Physiker

 

*19.11.1834, Frankfurt/Oder, ev., + 13.01.1924, Heidelberg

 

 

Eine etwas verkürzte Version wurde in den "Badischen Biographien, Neue Folge", Bd. V (2005), S. 228-230  publiziert. S. auch "Neue Deutsche Biographie", Bd. 21 (2003), S. 47-48

 

 

 

Hermann Q. (1808-1891), Arzt

 

Johanne Marie Louise, geb. Gabain

 

Vier Brüder, u.a. Heinrich Irenäus Q. (1842-1922); Wolfgang Q. (1859-?)

 

∞ 27.5.1863 in Berlin Rebecca Rieß (1836-1924)

 

Friedrich Q. (1865-1934); Therese Q. (1867-1952)

 

 

 

 
 

1852 IX 22                   Reifezeugnis des Friedrich-Werderischen Gymnasiums zu

                                      Berlin

 

 

 

1852 -1854                  Studium an der Univ. Königsberg

 

1854 X - 1856             Studium an der Univ. Heidelberg

 

1857 IV - 1858 III          Einjährig Freiwilliger bei dem K. Preuss. 2. Garde

                                                   Regiment in Berlin

 

 

 
 

1856 X - 1858 IX         Studium an der Univ. Berlin

 

1858 VIII 7                    Promotion summa cum laude zum Dr. phil. an der Univ. 

                                      Berlin; Diss. "De constantibus mercurii capillaribus"

 
 
 

1859 VI 21                   Habilitation ebda aufgrund der Schrift über die

                                      Methoden,die wahre Temperatur von Körpern festzustellen

                                      und der Probevorlesung "Über die Verdichtung von

                                      Gasarten an der Oberfläche fester Stoffe".

 

1860 X 1                      Lehrer der mathem. Physik an der Gewerbeakademie

                                      Berlin

 

1865 VI 27                   a.o. Professor der Physik an der Univ. Berlin

 

1869 III 3                       o. Lehrer (Professor) der Physik an der

                                      Gewerbeakademie

 

1872 V 22                    o. Professor der Physik an der Univ. Würzburg

 

1875 IV 1                     o. Professor der Physik an der Univ. Heidelberg

 

1879                             Mitglied der Akademie der Wissenschaften Berlin u.

                                                   Royal Society of London

 
 

1885/86                        Prorektor der Univ. Heidelberg

 

1894 II 3                        Geheimrat II Kl.

 

1907 X 1                       Emeritierung

 

 

 

 

 

 

 

Q. wurde als erster Sohn einer Arztfamilie geboren. Von seinem Vater erbte er eine außerordentlichen Lebenskraft und von seiner Mutter, die aus einer Hugenottenfamilie stammte, - klaren Sinn und die Neigung, "alles hübsch zu machen". 1843 zog die Familie nach Berlin, wo Q. fast 30 Jahre leben sollte. Bereits im Gymnasium zeigte er eine besondere Begabung für die Naturwissenschaften. Im Reifezeugnis steht für Physik und Mathematik die Note "vollkommen genügend". Anschließend studierte Q. Physik, Chemie und Mathematik zuerst in Königsberg, besonders bei F. Neumann, dann in Heidelberg bei R. Bunsen und bei G. Kirchhoff und schließlich in Berlin bei E. Mitscherlich und G. Magnus. In Heidelberg führte er erste publizierte Arbeiten durch - über eine Gesteinsanalyse und über Messungen der Stromverteilung in Bimetallen. In Berlin promovierte Q. zum Dr. phil. mit einer für eine Inaugural Dissertation hervorragenden Arbeit über Kapillaritätserscheinungen bei Quecksilber. Als erster entdeckte Q., dass die anfangs reine Oberfläche durch Kontakt mit Luft verunreinigt wird und dass ihre Kapillarkonstante sich deswegen verändert. Seine Schlußthese lautete: "Der Gleichgewichtszustand existiert in der Natur nicht": Überall beobachtete Q. Prozesse, nichts Abgeschlossenes.

 

Nach der Promotion setzte Q. seine Forschungen auf dem Gebiet der Oberflächenerscheinungen fort, habilitierte sich und begann seine Lehrtätigkeit zuerst als Privatdozent an der Universität, später aber auch an der Gewerbeakademie. 1862-1865 fungierte er außerdem als Lehrer der Chemie und Physik an der Bauakademie. Da er kein staatliches Laboratorium zur Verfügung hatte, führte er seine Lehr- und Forschungsarbeiten in seiner Wohnung durch, und mußte jedesmal seine Apparate mit Droschken zur Vorlesung mitbringen. Q. war aber sehr erfinderisch und konnte viele notwendige Geräte in einfachster Form selbst herstellen. Dabei besaß er eine erstaunliche Begabung, seinen Arbeitsraum außerordentlich effektiv auszunutzen, insbesondere dank der Sicherheit und Genauigkeit seiner geschickten Bewegungen. So konnte er trotz beengter Umstände mit einfachsten Mitteln bedeutende Resultate auf mehreren Gebieten der Experimentalphysik erreichen, so daß er zu großem Ansehen kam und 1872 zum o. Professor an der Universität Würzburg berufen wurde. Hier hatte er ein wenn auch kümmerliches Laboratorium und führte seine Forschungen in demselben einfachen Stil weiter. 1875 wechselte Q. nach Heidelberg als Nachfolger Kirchhoffs. Die primitiven, von Kirchhoff übernommenen Apparaturen ließ er unverändert. (Ihre Beschreibung gab er in seiner Rektoratsrede.) Ende der achtziger Jahren richtete Q. jedoch ein Praktikum für Studenten ein - mit einfachsten selbst hergestellten Apparaten, die für Lehrzwecke aber sehr geeignet waren - besonders dank der Klarheit ihres Aufbaues. Ein witziger Schüler Q.s nannte es "Glas-Kork-Siegellack-Pfennig-System".

 

Seit seiner Emeritierung arbeitete Q. intensiv in seinem Privatlabor, das er für sich nach seinem Geschmack in seiner eigenen Villa eingerichtet hatte. Den Neuerungen der Experimentalphysik verschloß er sich nicht; so schrieb er 1915 einen Artikel über die Wilsonschen Versuche mit der Nebelkammer, wo die Bahnen elektrisch geladener Teilchen sichtbar wurden. Q. bewahrte seine Sinnesschärfe und erstaunliche Arbeitsfähigkeit bis ans Lebensende. Seinen letzten Experimentalbeitrag publizierte er mit 89 Jahren.

 

 

 

 

Schon sein Arbeitsstil zeigt, dass Q. ein Experimentator par excellence war. Als Basis für seine Experimentalmessungen benutzte Q. immer eine klare mechanische Vorstellung und die entsprechende mathematische Behandlung; raffiniertere moderne Theorien mochte er nicht. Seine Arbeiten griffen in fast alle Gebiete der damaligen Physik ein. So erfand er eine genial einfache Methode zur Bestimmung der Schallwellenlänge. Das "Quinckesche Interferenzrohr" gehört bis zur Gegenwart zu den physikalischen Praktika. Da er unmusikalisch war, blieb diese Arbeit sein fast einziger Beitrag zur Akustik. Dagegen publizierte er zwei umfangreiche Reihen von Arbeiten in der Optik (1862-1871) und in der Elektrizitätslehre (1880-1897). Er erforschte insbesondere Erscheinungen der Elektrostriktion und Magnetostriktion und erfand hier seine scharfsinnige Steigungsmethode zur Messung der dia- und paramagnetischen Suszeptibilität von Flüssigkeiten. Eine ähnliche Methode erfand er zur Messung der dielektrischen Konstanten.

 

Sein "Lieblingsgebiet" war aber die Welt der Phänomene, die man heute zur Kolloidchemie zählt. Zu diesem Gebiet gehört etwa ein Drittel der 165 Aufsätze Q.s. So entdeckte er den "Diaphragmenstrom", d. h. die Entstehung einer elektrischen Spannung beim Durchwandern einer Flüssigkeit durch eine poröse Membran. Er untersuchte auch einen verwandten Effekt, nämlich die Bewegung der in Flüssigkeit suspendierten Teilchen im elektrischen Feld. Bei der Besprechung dieser, wie man sie heute bezeichnet, "elektrokinetischen Erscheinungen" kam Q. zu Vorstellungen, die dem Helmholtzschen Begriff der "elektrischen Doppelschicht" vorgriffen. Zur Kolloidchemie gehören auch Q.s gründliche Messungsreihen der Oberflächenspannung von Salzlösungen und seine Beobachtungen über die Bildung von Schaum (von denen seine eigenartigen Ideen über die Schaumstruktur der Materie stammten, die er bis zum Lebensende entwickelte). Symbolisch ist, daß sein letzter Artikel gerade in der "Kolloidzeitschrift" publiziert wurde.

 

 

 

 

In der Geschichte der Wissenschaft lebt Q. nicht nur als ausgezeichneter Experimentator, sondern auch als Lehrer. Sein Vortrag war klar und lebendig. Q. veranschaulichte ihn mit ausgezeichneten Bilder und Diagrammen, die er selbst entwickelte, aber auch mit unvergesslichen Demonstrationsexperimenten. Seinen Studenten vermittelte er, so sein Assistent A. Kalähne, "die strenge Schulung in der Handhabung der experimentellen Hilfsmittel". Die lange Liste seiner Schüler zählt drei Nobelpreisträger (A. Michelson, F. Braun und Ph. Lenard) und viele Physikprofessoren. Dabei war die Klarheit seines Denkens und die Begeisterung beim wissenschaftlichen Suchen ebenso einflussreich wie seine Hinweise. Bei letzteren war er übrigens ziemlich einseitig: So existierte die Thermodynamik für ihn nicht und ihr Begründer R. Clausius war für ihn ein Mensch, der zeitlebens kein Experiment durchführte. Q.s Motto war: "Die Theorien gingen, die Tatsachen bleiben".

 

 

 

 

Als Mensch wurde Q. durch das Wort "Pflichtgefühl" charakterisiert. Für das Studienjahr 1885/86, als die Heidelberger Universität ihr 500-järiges Jubiläum vorbereitete, wurde Q. zum Prorektor gewählt (als Rektor galt der Großherzog), was das große Vertrauen in ihn widerspiegelte. Außerdem wurde Q. viermal als Dekan gewählt. Jahrelange war er Vorsitzender des Heidelberger "Naturwissenschaftlichen und medizinischen Vereins". Eine kräftige und frohe Natur, liebte Q. Geselligkeit. Sein gastliches Haus in Heidelberg (und früher in Würzburg) war ein Zentrum des gesellschaftlichen Lebens der Stadt. Auch hatte Q. durch langjährige Mitarbeit in der Kirchengemeindeverwaltung große Verdienste in der Stadt Heidelberg erworben. Seine Briefe zeigen ihn als sehr lebhaften, humorvollen und engagierten Mann.

 

Seine wissenschaftliche Bedeutung fand durch mehrere Mitgliedschaften in Deutschland und im Ausland, besonders in Großbritannien ihren Ausdruck.

 

 

 

 
 

Q UA Berlin (UK-Q6; Matrikel Nr. 86/47 R; Akte Phil. Fak. 1207; Auskünfte); Brandenburgisches LandeshauptA (Pr. Br.: Rep. 30, e, Tit. 3,Lit. Q, Nr.1; Rep. 34, Abt.1c, Sekt.14, Lit. a, Nr. 9); StadtA Heidelberg (Auskünfte); UA Heidelberg (Matrikel 1854, Nr.342; H-IV-102/80, Nr. 33; PA 2122); UB Heidelberg (Hs 2471, 3471, 3632); GLA Karlsruhe (235/2397; 466/14105); Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte, Friedrichsdorf (Auskunft); Deutsche Zentralstelle für Genealogie, Leipzig (Auskunft)

 

 

 

 

W  Beitrag zur Kenntniss des rothen und grauen Gneisses des Erzgebirges, Ann. Chem. Pharm. 1856, 99, 232-240; Ueber die Capillaritätsconstanten des Quecksilbers, Ann. Phys. Chem. 1858, 105, 1-48; Ueber eine neue Art electrischer Ströme, Ibid., 1859, 107, 1-47; Ueber Interferenzapparate für Schallwellen, Ibid., 1866, 128, 177-192; Ueber die Entfernung, in welcher die Molecularkräfte noch wirksam sind, Ibid. 137, 1869, 402-414; Ueber Electrolyse und Electricitätsleitung durch Flüssigkeiten, Ibid, 1872, 144, 1-33, 161-190; Geschichte des physikalischen Instituts der Universität Heidelberg, Akademische Rede... am 21. Nov. 1885, Heidelberg, 1885; Electrische Untersuchungen. X. Ueber die Messung magnetischer Kräfte durch hydrostatischen Druck, Ann. Phys. Chem., 1885, 24, 347-416; Ueber periodische Ausbreitung an Flüssigkeitsoberflächen und dadurch hervorgerufene Bewegungserscheinungen, Ibid. 1888, 35, 580-642; Eine physikalische Werkstätte, Zs. phys. & chem. Unterricht, 1892, 5, 113-118, 1894, 7, 57-72; Ueber freiwillige Bildung von hohlen Blasen; Schaum und Myelinformen durch ölsaure Alkalien und verwandte Erscheinungen besonders des Protoplasmas, Ann. Phys. Chem., 1894, 53, 593-632; Ionenwolken in feuchter expandierter Luft, Ibid., 1915, 46, 39-68;Erwärmung und Spaltung von Gläsern und Kristallen durch elektrische Longitudinalschwingungen, Kolloid-Zs., 1923, 33, 202-208.

 

 

 

 

Poggendorfs Biographisch-literarisches Handwörterbuch, Bd. II (1863), S. 554, Bd. III (1898), S.1080-1081, Bd. IV (1904), S. 1203-1204, Bd. V (1926), S. 1015, Bd. VI (1938), S. 2101-2102; F. Fraunberger, Q. Dictionary of the Scientific Biography, vol. 11 (1975), p. 241-242; Anonym, The Heidelberg Physical Laboratory, Nature,1902, 65, 587-590 (B); F. Braun, H. G. Q., Ann. Physik, 1904,15, Nr. 13, S. I-VIII (P); A. Kalähne, Dem Andenken an G. Q., Physikal. Zs. 1924, 25, 649-659 (B); W. König, G. Q.s Leben und Schaffen, Naturwissenschaften, 1924, 12, 621-627; A. Schuster, Prof. G. H. Q. +, Nature, 1924, 113, 280-281; Proc. Roy. Soc. of London, 1924, A105, p. XIII-XV.

 

 

B s. L; Naturwissenschaften, 1925, 13, 36; UA Heidelberg; UB Heidelberg