Plieninger, Hans, Chemiker. 
*17.1.1914, Zürich, ev. +23.12.1984, London.

 

Reginald P. (1885-1914), Dr.-Ingenieur;

M Adele, geb. Hauck, verw. P., verh. Deckert (1892-1988);

G Halbschwester Lilo, geb. Deckert, verh. Pohlmann, (*1924); Halbbruder Klaus Deckert;

oo 1942 (Heidelberg) Herta Freudenberg (*1916); Thomas P. (*1943); Mathias P. (*1945); Peter P. (*1947)

 

1926-1932 I                 Internatsschule "Schloß Salem" am  Bodensee

                                   
1932 IV - X                 Studium an d. Univ. Frankfurt/M

 

1932 XI -1935 X 
u. 1937 XI-1938 XII    Studium an der TH München

 

1935 XI-1937 X
u. 1939 VIII-1940 III    Militärdienst

 

1938 XII 8                   Diplomexamen. Diplomarbeit: "Die katalytische Hydrierung von

                                     Acetylen  u. Aethylen an Palladium-Katalysatoren"

                                   

                                    
1939 VI-1942 III 
        Wissenschaftliche Hilfskraft an d. TH  München

    u. 1945 I - IV                  

         

1941 VII 28                 Promotion zum Dr.-Ing. ebd. Diss.: "Zur Konstitution des

                                   Bilibirubins u.über Tripyrrene"                              


1942 III-1944 XII          Mitarbeiter bei IG Farbenindustrie,
 Ludwigshafen

                                   
1946 V -1953 VIII        Forschungschemiker bei d. Knoll AG, 
Ludwigshafen

                                   
1953 XII 5                   Habilitation an d. TH Darmstadt
 aufgrund seiner bisherigen

                                  Publikationen. H.-vortrag: "Auf- u.Abbau des Blutfarbstoffs";       

                                   Antrittsvorlesung: "Anlagerungs- u. Abspaltungsreaktionen m  

                                   Radikalmechanismus"

1953 X 1                     Wissenschaftlicher Assistent am  Chemischen Institut d. Univ. 

                                   Heidelberg.
1954 VII 30                 Umhabilitierung an d. Naturwiss.-
math. Fakultät d. Univ.

                                   Heidelberg; Antrittsvorlesung "Biosynthese der Alkaloide" am 

                                   15.11.1954                                  
1958 VII 29                 Ernennung zum Diätendozent
1960 II 16                   Ernennung zum außerplanmäßigen
 Professor                               
1961 IX 7                    Ernennung zum Wissenschaftlichen
 Rat

                                  
1964 III 26                  Berufung auf ein Extraordinariat an d.
Univ. Heidelberg

                                   
1967 V 29                   Berufung auf ein Ordinariat ebd.
1979 IV 1                    Emeritierung
1984 VI 4                    Verleihung d. Umweltschutzmedaille


P. entstammte väterlicherseits einer bürgerlichen Familie aus Stuttgart, mütterlicherseits einer großbürgerlichen Familie aus Frankfurt/M. Seinen Vater kannte P. nicht, weil dieser im September 1914 in Lothringen fiel. Seine Mutter heiratete bald darauf wieder einen Freiburger Arzt. P. verbrachte in Freiburg seine Kindheit und die ersten Schuljahre (Volksschule und zwei Klassen eines Gymnasiums). Mit 12 Jahren kam P. in das bekannte Landerziehungsheim Salem (Zweigschule Spetzgart) am Bodensee, wo er bis zum Abitur blieb und wo seine Einstellung zur bescheidenen Lebensweise und zur Selbstdisziplin geprägt wurde.

Danach studierte P. Chemie ein Semester in Frankfurt (wo seine Mutter mit der Familie wohnte) und einige Jahre an der TH München, wobei sein Studium durch Militärdienst unterbrochen wurde. Trotzdem konnte P. eine gute Diplomarbeit im Grenzgebiet zwischen der physikalischen und der organischen Chemie 1938 vollenden. Anschließend begann er seine Doktorarbeit in organischer Chemie bei dem Nobelpreisträger Prof. H. Fischer. Ab Juni 1939 wurde P. als wissenschaftliche Hilfskraft am Organisch-Chemischen Institut der TH angestellt, bald aber wieder zum Heeresdienst berufen. Auf Antrag des einflussreichen Geheimrats Prof. H. Fischer wurde P. im März 1940 vorläufig beurlaubt und ab 20. Juni desselben Jahres von der TH München UK gestellt. H. Fischer, durchaus anspruchsvoller Chef, charakterisierte P. als "einen ausgezeichneten Chemiker, den ich menschlich nur von der besten Seite kennengelernt habe". Den Grad eines Doktor-Ingenieurs erwarb P. mit dem Gesamturteil "sehr gut". 
In diese Zeit fiel ein noch größeres Ereignis: Durch seinen Internatsfreund Hermann Freudenberg hatte P. dessen Schwester Herta kennengelernt, die bald seine treue Lebensgefährtin wurde.
Wie schon vor der Promotion hatte P. eine geteilte Assistentenstelle inne. Ende 1941 wurde es aber klar, dass seine Befreiung vom Militärdienst nicht weiter verlängert werden konnte. So ging P. in die Industrie, nämlich in die IG Farben, Werk Ludwigshafen. Dort arbeitete er bei Walter Reppe (s. dort) bis zum Ende 1944, als H. Fischer wieder eine Möglichkeit fand, P. als UK an der TH München einzustellen.
Nach dem Zusammenbruch sollte P. während eines Jahres, so er selbst, "außerberuflich tätig" sein, bis er eine Stelle bei der chemischen Firma Knoll AG, Ludwigshafen bekam. Dort führte er erfolgreich Synthesen mehrerer Eiweiß-Aminosäuren wie auch der Stoffe der Lysergsäurereihe durch. Aus seiner Zeit in der Industrie stammen 19 Patente über verschiedene Syntheseverfahren in der organischen Chemie.
Als das Leben sich stabilisierte, konnte P. schließlich eine akademische Laufbahn antreten. Aufgrund seiner publizierte Arbeiten habilitierte er sich an der TH Darmstadt. (Die Habilitation in Heidelberg war aus formalen Gründe unmöglich, weil der Direktor des Chemischen Instituts K. Freudenberg sein Schwiegervater war). Anschließend kam er in das Chemische Institut Heidelberg, zuerst als Assistent. Hier arbeitete P. gleichzeitig als Forscher und Lehrer.


Als Forscher verstand P. sich selbst als synthetischen Organiker mit dem Schwerpunkt der Anwendung und Entwicklung neuer Methoden in der organischen Chemie, insbesondere der Naturstoff-Chemie. Schon nach P.s Vortrag in Freiburg im Jahre 1952 schrieben die dortigen Chemieprofessoren: "Wir hatten den Eindruck eines ganz seltenen und originellen synthetischen Talentes". P. liebte experimentell zu arbeiten und wusste, immer neue Möglichkeiten in seinem Bereich ausfindig zu machen. Insbesondere führte er seit 1962 das Hochdruck-Verfahren (bis 10000 bar) in die organisch-präparative Methodik ein, welches eine weltweite Anwendung fand und als große Leistung anerkannt wurde. Wie die Fachliteratur zeigt, fanden auch andere synthetische Innovationen P.s eine weite Beachtung. Einige seiner 200 Publikationen werden noch heute zitiert. Für breit angelegte Darstellungen fand er dagegen keine Zeit. Erst bei seiner Emeritierung verabschiedete sich P. mit einem Übersichtsvortrag, in dem er die Leitgedanken seiner Arbeiten darlegte, nämlich den biosynthetischen Weg der von ihm bearbeiteten Stoffklassen in der Natur aufzuspüren.


Als akademischer Lehrer nahm P. insbesondere eine vernachlässigte aber wichtige Aufgabe auf sich: Die Ausbildung der naturwissenschaftlichen Lehramtskandidaten und Biologen in Chemie. Er konnte diesen Ausbildungsgang reformieren und attraktiver gestalten. Dazu gehörte auch seine Überarbeitung des bekannten Lehrbuchs Freudenbergs über die "Organische Chemie" ("Freudenberg-Plieninger", 7 Auflagen in Deutsch und mehrere Übersetzungen im Ausland). Dass P. als Professor sehr beliebt war zeigt insbesondere der Fackelzug, den seine Schüler und Mitarbeiter ihm zum 65. Geburtstag bereiteten. In den 70-er Jahren war P. zweimal geschäftsführender Direktor des Chemischen Instituts und "hat während dieser Zeit das Institut betont liberal und demokratisch geleitet", so sein Nachfolger G. Ege.


Dieselbe Einstellung zeigte P. auch als Bürger, der außerordentlich aktiv engagiert war. Er und seine Frau waren der "der Kristallisationspunkt vielfältiger Initiativen des kritisch-bürgerlichen Heidelberg". Besonders setzte sich P. ein für die Friedensbewegung und für die Verbesserung der Umwelt. Die Stadt Heidelberg ist den Plieningers für mehrere Umweltschutzmaßnahmen verpflichtet. Und noch eine Facette dazu: Schon drei Jahre vor der Emeritierung erwarb P. einen Bauernhof in der Toskana. Dort bemühte er sich, seine Vorstellungen über Ökologie und biologischen Ackerbau zu verwirklichen.


1982 unternahm P. eine ungewöhnliche Aktion, die weite Resonanz erfuhr (u.a. in der UdSSR): Kaum war das Buch von J. Shell "Das Schicksal der Erde: Gefahr und Folgen eines Atomkriegs" in deutscher Übersetzung erschienen, bestellte P. 519 Exemplare beim Verlag und schickte sie allen 519 Mitgliedern des Bundestages. Diese einmalige Leistung, die ihn etwa 10 Tausend DM kostete, zeigte seine große Sorge über atomare Aufrüstung. Sie war ebenfalls der ökologischen Bewegung zuträglich.


P. starb nach seiner dritten Bypass-Operation. Für diese Herzoperation hatte er sich entschieden, weil er kein Leben in Abhängigkeit und Einschränkung wollte. Für seine Mitmenschen war P. ein Muster bürgerlicher Verantwortung und des Einsatzes für andere, für eine lebenswerte Umwelt und für den Frieden. Sein wissenschaftliches Werk behielt seinen Wert über Jahrzehnte.


Q HistA TU München (PromA., Plieninger); UnternehmensA BASF (Auskünfte); ATU Darmstadt (TH 45 Chemie/Ehemalige Dozenten u. Honorarprofessoren/Habilitation Dr. Plieninger); UA Freiburg (B15, Nr.132); UA Heidelberg (PA 2909; PA 8473; Rep. 14-23; Rep. 14-565); Auskünfte u. Materialien von Frau Herta Plieninger; Sammlung d. Veröffentlichungen von P. u. d. Materialien über ihn im Institut d. Organischen Chemie, Univ. Heidelberg; UnternehmensA Fa. Freudenberg, Weinheim (Nr. 1/00338).

 

(mit H. Fischer) Synthese des Biliverdins (Uteroverdins) u. Bilirubins, d. Biliverdine XIIIa u. IIIa sowie d. Vinylneoxanthosäure, Zs. f. physiol. Chemie, 274, 1942, 231-260; Die Aufspaltung des g-Butyrolactons u. a-Amino-g-Butyrolactons mit Natriummercaptid bzw. -selenid. Eine Synthese des Methionins. Chem. Berr., 83, 1950, 265-268; (mit G. Werst) Einfache Methode zur Darstellung von Aldehyden, Angew. Chem., 67, 1955, 156-157; (mit M. Decker) Eine neue Synthese f. Pyrrolone, insbesondere f. "Isooxyopsopyrrol" u. "Isooxyopsopyrrol-carbonsäure", Ann. d. Chem. 598, 1956, 198-207; (mit K. Freudenberg) Organische Chemie, 81958, 141984; (mit H. Bauer u. a.) Über D3-Pyrrolone u. Alkoxypyrrole, Ann. d. Chemie, 654, 1962, 165-180; (mit H. Bauer u. a.) Synthese von Pyrrol- u. Indol-Derivaten, ebd., 680, 1964, 69-82; (mit W. Lehnert) Eine neue Synthese f. Hydro-benz[cd]indol-Derivate, Chem. Berr., 100, 1967, 2427-2434; (mit D. von der Brück u. a.) Reaktionen unter hohem Druck, eine Bereicherung d. organisch-präparativen Methodik,  Chem. Ztg, 94, 1970, 183-189; (mit F. El-Barkawi u. a.) Neue Synthese u. 14C-Markierung von Bilirubin-IXα, Ann. Chem., 758, 1972, 195-201; The Influence of High Pressure on Organic Reactions in the Fluid Phase, High Temperatures - High Pressures, 9, 1977, 513-514; (mit A. Gossauer), Synthesis, Purification and Characterization of Bile Pigments and Related Compounds, In: The Porphyrins, vol. VI (D. Dolphin Editor) N. Y., 1979, p. 585-650; (mit I. Preuss) Ein neuer synthetischer Weg zu Phytochromobilin-ähnlichen Gallenfarbstoffen, Liebigs Ann. Chem., 1983, 585-598.

 

L G. Ege, H. P. 70 Jahre, Ruperto Carola, Jg. 36, H. 70, 1984, S. 147; G. Ege, Zum Tode von H. P., ebd., Jg. 37, H. 72/73, 1985, S. 534; C. Girndt, Großbürger und Wandervogel. Zur Erinnerung an H. P., Communale (Heidelberger Wochenzeitung), 1985, 10. Jan., S. 5 (mit Bild).

 

B UA Heidelberg; UnternehmensA Fa. Freudenberg; Bibliothek des Chemischen Instituts d. Univ. Heidelberg.