Schröder, Georg Friedrich Heinrich,

Naturwissenschaftler, Schullehrer und Persönlichkeit des öffentlichen Lebens

*28. September 1810, München, ev., +12. Mai 1885, Karlsruhe

V Heinrich Andreas Schröder (1771-1831), Verwalter der Königl. Bayerischen

Zentralstiftungskasse

M Justine Luise Sophie, geb. Ludowig (1787 oder 1788-1813)

Stiefmutter Elisabeth, geb. Louis (1786-1832)

G Auguste, verh. Rochholz (1812-nach 1891)

 

∞ 9. Sept. 1840 in Haunsheim (bei Dillingen, Bayern) Caroline Walther (1816-1875), Tochter des Pfarrers und Seniors in Haunsheim Johann Gottfried Walther (1785-1852), und Luise Walther, geb. Canabich (1783-1856)

 

Ernst Schröder (1841-1902), Mathematikprofessor; Clara, verw. Bessard, verh. Mayet (1842-1910); Heinrich Schröder (1845-1912), Bankdirektor; Walter (1850-1917?), Kaufmann.

 

 

 

1827 VIII                                                          Abschluss des Wilhelmsgymnasiums zu

München mit besten Noten

1827-1832?                                                      Studien an den Univ. München und (in 1830)

Wien

1833 VI-1836 III                                                 Professor der Physik an der Polytechnischen Schule in München

1836 IV-1840 VII                                               Professor der Physik am Lyzeum in Solothurn

1836 V-1837 XII                                                Präsident der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Solothurn

1840 IX -1873 VII                                              Direktor und Professor der Physik und Chemie an der höheren Bürgerschule (ab 1869 Realgymnasium) zu Mannheim

1840 X- 1869 IV                                                Leiter der Gewerbeschule ebd.

1843 IX- 1849 I und 1860 IV-1862 II                     Präsident des Gewerbevereins in Mannheim

1846 I-1849 XII                                                  Redakteur des "Mannheimer Gewerbvereinsblattes"

1848 V                                                             Mitbegründer des "Neuen Vaterländischen Vereins"

1843-1876                                                        Mitglied (1854-1859 - Vizepräsident) des Vereins für Naturkunde in Mannheim

1854 VIII 8                                                       Dr. phil. (Univ. Erlangen, ohne Dissertation und Prüfungen)

1861 IV- 1863 V                                                Mitbegründer und Vorstandsmitglied des "Volkswirtschaftlichen Vereins für Südwestdeutschland"

1877 VI 20                                                       Wahl zum korrespondierenden Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaft

 

 

 

Schröder begann seine Tätigkeit als 23jähriger Professor an der Polytechnischen Schule zu München. Schon damals wirkte er auch im öffentlichen Leben als Vorstandsmitglied des Polytechnischen Vereins für Bayern. Da man ihn umstürzlerischer Gesinnungen verdächtigte, tauschte er seine Stellung gegen eine Professur für Physik an der Kantonalschule Solothurn in der Schweiz ein. In Solothurn leitete Schröder gleichzeitig die von ihm gegründete Werkstatt für die Anfertigung physikalischer Apparate. Außerdem nahm er aktiv teil in der Tätigkeit der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft. Gerade in Solothurn begann Schröder seine wissenschaftliche Arbeit in der Physik und in der physikalischen Chemie.

Die Freundschaft mit dem Mannheimer Karl Mathy brachte ihn 1840 nach Mannheim, wo er als Direktor und Professor für Mathematik, Physik und Chemie an die neu gegründete höhere Bürgerschule berufen wurde. Auf die Zeit in Mannheim fallen die wichtigsten Aktivitäten und Leistungen Schröders.

Er leitete seine Schule und gleichzeitig die Mannheimer Gewerbeschule mit voller Hingabe. Seine dringendste Aufgabe war, ein für beide Schulen geeignetes Gebäude zu erkämpfen, was er erst nach zehn Jahren ständiger Bemühungen erreichte.

Bald trat Schröder in den Kreis der Mannheimer liberalen Intellektuellen. Er errang eine führende Rolle im Mannheimer Gewerbeverein, welchem er von Anfang an eine liberale und aufklärende Richtung gab. Dabei trat er als überzeugter Gegner des Zunftsystems an.

Politisch stand Schröder immer für eine friedliche Entwicklung der Gesellschaft im liberalen Sinne, auch während der Revolutionsjahre 1848-1849. Damals war er bestrebt, eine "Partei der gesetzlichen Freiheit und Ordnung" zu organisieren und war Mitbegründer des "Neuen Vaterländischen Vereins". Nach dem durch Schröder entworfenen Programm sollte "Die Förderung deutscher Einheit und Freiheit, der Gesetzlichkeit und Ordnung" die Aufgabe des Vereins sein. Einige Zeit bemühte er sich damals um eine parlamentarische Funktion, aber ohne Erfolg.

Nach der Auflösung der politischen Vereine im August 1849 konzentrierte sich Schröder auf seine berufliche Tätigkeit. Als er endlich 1851 ein passendes Gebäude für seine Schulen erhielt, richtete er dort ein chemisches Laboratorium ein, wo er seine wissenschaftlichen Forschungen wieder aufnahm. 1854 wurde Schröder für den Lehrstuhl der Physik in Heidelberg vorgeschlagen. Gleichzeitig erteilte ihm die philosophische Fakultät in Erlangen die Doktorwürde, ohne eine Dissertation oder ein Examen, ausschließlich "auf Grund seiner bekannten wissenschaftlichen Arbeiten im Gebiete der Physik und Chemie".

Während der "Neuen Ära" nahm Schröder seine aktiven öffentlichen Tätigkeiten wieder auf. Als Publizist und als Vorstand des Gewerbevereins trug er beachtlich zur neuen badischen Gesetzgebung bezüglich der Gewerbefreiheit bei. (Nicht umsonst empfahl man Schröder, für den Landtag zu kandidieren (1861), weil er bei volkswirtschaftlichen Fragen einerseits und Bildungsfragen andrerseits sowohl die Wissenschaft als auch die praktische Erfahrung in einer Person vereine.) Es ist auch bemerkenswert, dass Schröder in seiner publizistischen Tätigkeit und auch in den Versammlungen des "Kongresses deutscher Volkswirte" energisch für die Schöpfung einer deutschen Patentgesetzgebung eintrat.

Schröder wurde außerdem aktives Mitglied des Nationalvereins. 1869 war er auch an der Gründung der Nationalliberalen Partei in Mannheim beteiligt: Schon früh strebte er zur Einigung Deutschlands unter der Ägide Preußens.

Gleichzeitig leitete Schröder die höhere Bürgerschule mit allgemein anerkanntem Erfolg. Jahrzehntenlange dauerte sein zähes Ringen für die Anhebung des Unterrichtsniveaus, das 1869 in die Umwandlung der Schule in das Realgymnasium mündete. Mehrere Generationen von Mannheimern waren ihm dankbar, nicht nur für die hervorragende Bildung, sondern auch für den hohen ethischen Anspruch seiner Anstalt. Unter seinen Schülern trifft man viele berühmten Familiennamen, wie z. B. Bassermann, Dyckerhoff, Ladenburg, Reiß. Insbesondere seien hier erwähnt August Horstmann, Albert Ladenburg und Adolf Mayer.

Auch im allgemeinen Schulwesen war Schröder tätig. So kämpfte er für die Befreiung der Volksschule aus der kirchlichen Kontrolle und trug wesentlich zur Schulreform in Baden bei, als die "Neue Ära" ausbrach. Er bereitete auch den deutschen Lehrertag in Mannheim vor: Die 14. Allgemeine Lehrerversammlung, 25.-28. Mai 1863, war die erste, an der etwa 2000 Lehrer aus allen deutschen Ländern unbehindert teilnehmen konnten.

Für das öffentliche Leben der Stadt war Schröder in erster Linie der Aufklärer, insbesondere als aktives Mitglied des Vereins für Naturkunde (1843-1876), wo er mehrere Jahre Vizepräsident und Sektionsvorstand war, aber auch als Mitbegründer und Vorstand (1861-1865) des Arbeiterbildungsvereins zu Mannheim. Schröders zahlreiche Vorträge und Vorlesungen, begleitet von Experimenten und Demonstrationen, fesselten nicht nur die Zuhörer, sondern trugen wesentlich dazu bei, Interesse und Verständnis für naturwissenschaftliche Fragen in weiten Kreisen zu verbreiten..

1873, nach vierzigjähriger Lehrtätigkeit, ließ Schröder sich pensionieren. Nun widmete er sich ausschließlich seiner Naturwissenschaft. Nach dem Tod seiner Frau zog er nach Karlsruhe um, wo seine Söhne Ernst und Heinrich wohnten. Auchdort war er aktives Mitglied des Naturwissen­schaftlichen Vereins und arbeitete im chemi­schen Laboratorium der Technischen Hoch­schule. Während seines letzten Lebensjahres konnte er jedoch nicht mehr arbeiten wegen schwerer Krankheiten. Die Inschrift auf seinem Grabstein lautet:

!Und wenn das Leben köstlich gewesen,

So ist es Mühe und Arbeit gewesen".

 

Erstaunlich ist, dass Schröder bei seiner anstrengenden dienstlichen Tätigkeit und angesichts seiner vielseitigen öffentlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten - sie sind hier bei weiten nicht alle erwähnt! - auch für sein wissenschaftliches Werk Zeit fand. Er war "eine leidenschaftliche Forschernatur", so sein Schüler Adolf Mayer. Von 240 Publikationen, die aus seiner Feder stammen, zählen mehr als die Hälfte zu Naturwissenschaft und Technik.

Sein Name bleibt in der Geschichte der Naturwissenschaft dank seiner Beiträge zur physikalischen Chemie und zur Mikrobiologie unvergessen.

Als einer der ersten erschloss er einen wichtigen Bereich der physikalischen Chemie, nämlich die Gesichtspunkte der Zusammenhänge zwischen physikalischen Eigenschaften und chemischer Zusammensetzung und Struktur der Stoffe. Hier erarbeitete und erfasste er eine große Menge von Daten über Dichten und Siedepunkten, aber auch über einige andere Eigenschaften verschiedenster Substanzen. Dabei entdeckte er eine Reihe von Gesetzmäßigkeiten für Molekularvolumina und Siedepunkte in Reihen verwandter Stoffe. Insbesondere formulierte er als erster die These, dass die Atomvolumina der Komponenten in verschiedenen Verbindungen veränderlich sind ("Sterentheorie", die bis etwa 1930 in der Fachliteratur existierte). Dieses Forschungsgebiet bearbeitete Schröder bis zu seinem Lebensende. Im Allgemeinen stellt sein Werk eine bedeutende Ausweitung der Komparativmethode in der Chemie dar.

Eine geachtete Stellung in der Wissenschaft erwarb Schröder auch als Vorläufer L. Pasteurs beim Problem der Urzeugung durch seine Untersuchungen über die Wirkung der Filtration von Luft durch Baumwolle bei Gärungsvorgängen. Pasteur selbst behauptete, "es sind ausgezeichnete Arbeiten" und beschrieb "diese sehr scharfsinnigen Arbeiten" detailliert. Pasteurs Versuchsmethoden stützten sich auf Schröders Erfahrungen. Eben dank dieser Leistungen wurde Schröder zum korrespondierenden Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt (1877).

 

 

 

Q Dokumente im Familienbesitz; Bayer. Hauptstaatsarchiv München (Minn 45333); Staatsarchiv Solothurn (Akte der Erziehungskommission 1835-1840); Generallandesarchiv Karlsruhe (76/7061; 362/1592); UA Heidelberg (Akten der Philos. Fak. 1854, H-N-102/50, Nr.28); UA Erlangen (Promotionsakten Philos. Fak. 1854, Nr. 542); StadtA Mannheim (Jahresberichte d. höheren Bürgerschule; Familienbögen; ev. Kirchenbücher).

 

 

WNaturwissenschaften: Allgemeine Begrün­dung der Volumentheorie oder Lehre von den Aequivalent-Volumen. Poggendorffs Ann. Phys. Chem., 1840, 50, 553 - 604; Die Molecularvolume der chemischen Verbindungen im festen und flüssigen Zustand. Mannheim, Verlag von Friedrich Bassermann, 1843. IV+156 S.; Die Siedhitze der chemischen Verbindungen als wesentlichste Kennzeichen zur Ermittelung ihrer Componenten, nebst vollständigen Beweisen für die Theorie der Molecularvolume der Flüssigkeiten. 1. Theil, enthaltend: Die Kohlenwasserstoffe und Kohlenwasserstoffoxyde. Mannheim, Verlag von Friedrich Bassermann, 1844. IX+138 S.; Über den Einfluss der Elemente auf die Siedhitze. Poggendorffs Ann. Phys. Chem., 1845, 64, 367-404, 1846, 67, 45-77, 1850, 79, 34-74;.Über Filtration der Luft in Beziehung auf Fäulniss und Gährung.(mit Th. v Dusch), Liebigs Ann. Chem. Pharm. 1854, 89, 232 - 243; Über Filtration der Luft in Beziehung auf Fäulnis s, Gährung und Crystallisation. Ebd., 1859, 109, 35 - 52, 1861, 117, 273 - 295; Untersuchungen über die Bedingungen, von "welchen die Entwicklung von Gasblasen und Dampfblasen abhängig ist, und über die bei ihrer Bildung wirksamen Kräfte. Poggendorffs Ann. Phys. Chem. 1869, 137, 76-102, 1871, Ergänzungsband V, 87- 115; Das Sterengesetz. Sit­zungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1877, 7, 302-322. Pädagogik und Publi­zistik: Über die Verbindung von Werkstätten mit den öffentlichen Lehranstalten, insbesondere mit den höheren Bürgerschulen. Mannheimer Geverbvereinsblatt Nr. 11-13 (21. Mai, 4. und 18. Juni), S. 41-42, 45-47, 49-52; Elf Briefe über die bürgerliche Freiheit. Als Beitrag zu der Frage der deutschen Gewer­be-Gesetzgebung. Mannheim, 1860, 46 S.; Das Salz­regal und die Salzsteuer. II. Flugblatt des Volks­wirtschaftlichen Vereines für Süddeutschland. Mannheim, 1862, 32 S.; Über die handelspolitische Lage Deutschlands. Rede, gehalten in der Ver­sammlung der Mitglieder des deutschen Nationalvereins zu Mannheim am 22. November 1862. Mannheim, Druck und Verlag von J. Schneider, 1862. 17 S.; Bericht über die Genossenschaften zur Erwerbung des geistigen Capitals ihrer Mitglieder. Die Fünfte Sitzungsperiode des internationalen statistischen Congresses in Berlin vom 4. bis 12. September 1863. II. Band. Berlin, 1865, S. 771-772.

 

 

Poggendorffs Biogr.-lit. Handwörterbuch, Bd. II, Sp.844-845 (1863); Bd. III, S. 1212 (1898).

Anonym. Badische Biographien, Bd. 4, Karlsruhe, 1891, S. 413-415; Birnbaum, Karl. G. F. Heinrich Schröder +. Ber., 1885, Bd. 18, S. 843-846; Stampfli, Hans R.. Otto Möllinger, 1814-1886, Lehrer und Wissenschaftler. Aspekte der Schule und der Wirtschaft in Solothurn von 1830-1870. in: Jahrbuch für Solothurnische Geschichte, 1992, Bd. 65, S. 5-105 (S. 8-24, 46-49, 81-82); Hoffend, Andrea. Verhinderte Sozialdemokraten: Die Rolle des Mannheimer

Linksliberalismus im Emanzipationsprozess der deutschen Arbeitsbewegung nach 1860.

Mannheimer Geschichtsblätter, NF, Bd. 2, 1995, S. 317-342 (s. S. 318-320, 331).

vgl. L (Hoffend); Photos aus dem Familienbesitz im StadtA Mannheim.