Schmidt, Otto Theodor, Chemiker

24. Dez. 1894, Karlsruhe, ev., + 9. Apr. 1972, Heidelberg


 

V Leopold Ludwig Schmidt (1853-1907), Architekt und Bauunternehmer;

M Friederike Charlotte Auguste, geb. Fieg (1861-1938);

G Sieben Brüder, wobei die ersten zwei als Kleinstkinder gestorben; Leopold (1884-1915); Erwin (1885-1916); Hans Georg (1886-1916); Philipp (1888-1955); Hellmuth (1892-ca.1970);

∞ 21. Sept. 1918 in Karlsruhe Marie-Luise (Marlies) Hummel (1896-1983);

K Dieter Max (1919-2002), später Schmidt-Barbo, Dr. rer. nat. der Chemie; Werner Philipp (1920-1942); Klaus Otto Ludwig Hans (geb. 1930), später Schmidt-Koenig, Prof. der Zoologie.

 

 

1913 VII                                            Abschluss des humanistischen Gymnasiums in Karlsruhe

1913 X- 1919 V                                  Militär- und Kriegsdienst; E.K. I. und II. Klasse

1919 II-1921 III                                   Chemiestudium an der TH Karlsruhe

1921 V-1924 X                                   Chemiestudium an der Univ. München

1924 XI                                              Promotion magna cum laude ebd.; Diss.: "Synthesen von

            Benzopyryliumsalzen vom Typus der Anthocyanidine"

1925 III                                              Assistent mit Sondervertrag am Chemischen Institut d.
                                                        TH Karlsruhe

1926 IV                                             Dasselbe am Chemischen Institut d. Univ. Heidelberg

1930 XI                                              Habilitation an d. Univ. Heidelberg. Habilitationsschrift:
                                                        "ÜberZucker mit verzweigter Kohlenstoffkette     
                                                         (Konstitution und Konfiguration der Apiose)". Kolloquium-
                                                         Vortrag: "Chemie der blauen und roten Blütenfarbstoffe"   
                                                         Öffentliche Probevorlesung: "Das wissenschaftliche Werk
                                                         Richard Willstätters" 10.01.1931

1936 X                                               a. o. Prof.; stellvertretender Leiter d. Organischen 

                                                         Abteilung ebd.

1939 XI                                              etatmäßiger a. o. Prof. und Leiter d. Organischen

                                                         Abteilung

1939 XII-1942 VI                                  Kriegsdienst

1945 X                                               Entlassung aus dem Dienst

1947 XI                                              Rehabilitierung in Dienst

1957 VII                                             Mitglied d. Heidelberger Akademie d. Wissenschaften

1957 VII                                             Persönlicher o. Prof. f. organische Chemie

1964 IV                                              Ende der Lehrtätigkeit.

 

 

S. wurde als jüngster der sechs Söhne des bekannten in Karlsruhe Architekten und Inhabers eines Baugeschäftes geboren.

Nach dem Abitur trat S. im Herbst 1913 als Einjährig-Freiwilliger in den Heeresdienst und bei Kriegsausbruch direkt ins Feld. Zwei Mal wurde er verwundet, im Oktober 1915 schwer. Auch seine Pläne, Architekt im väterlichen, später brüderlichen Geschäft zu werden, wurden zerschlagen: Drei seiner Brüder waren gefallen, unter ihnen der älteste, der Inhaber des Geschäfts, so dass dieses "in Verlust geraten" war. Nun dachte S. über den Offizierberuf

Im März 1917 wurde S. zu den aktiven Offizieren des badischen Artillerie-Regiments Nr. 14 übernommen und führte während der letzten anderthalb Jahre des Kriegs eine schwere Feldhaubitzbatterie an der Westfront. Als Leutnant mit E. K. 1. und 2. Klasse und dem schwarzen Verwundeten-Aufzeichen dekoriert, heiratete S. seine Jugendfreundin Marlies, Tochter des Baurats Hummel. Nach dem verlorenen Krieg, wegen der Verminderung des Heeres wurde S. jedoch zuerst beurlaubt und im Mai 1919 vom Militär entlassen. Der Krieg machte S. zum ernsten zurückhaltenden Mann mit starkem Pflichtgefühl, was ihn, so ein Schüler, "mit einem Flair des Soldatischen umgab".

 

So begann S. mit 24 Jahren sein Studium an der TH Karlsruhe noch ohne feste Pläne. Bald wurde er aber für die Chemie durch die hinreißenden Vorlesungen von Paul Pfeffer gewonnen. Im Oktober 1920 bestand S. das Diplom-Vorexamen "mit Auszeichnung"; zum Sommersemester 1921 siedelte er nach München über, wo der bedeutendste Organiker des damaligen Deutschlands Richard Willstätter lehrte. Bei diesem Meister promovierte S. mit einer sehr sorgfältig und geschickt durchgeführten synthetischen Arbeit. "Die Untersuchung, deren Ausgangsmaterial zum Teil mühsam darzustellen war, ist gründlich und sorgfältig ausgeführt worden und korrekt dargestellt", schrieb Willstätter in seinem Referat. "Willstätter verdanke ich meine Ausbildung in den entscheidenden Doktoranden-Jahren, von ihm habe ich die Vorliebe für die Naturstoffe übernommen", betonte S. als reifer Wissenschaftler.

 

Willstätters Rat folgend, kehrte S. nach Karlsruhe zurück, um bei Karl Freudenberg [s. dort], damals Direktor des Chemischen Instituts der TH, seine Arbeit zu beginnen. Nächsten Jahr ging S. mit Freudenberg nach Heidelberg und wurde zuerst Assistent bei Anorganischen Abteilung. Hier bekam er Erfahrungen als Lehrer. "In seinem langen Militärdienst hat er Sicherheit des Auftretens gelernt, die ihm gerade im Anfängerunterricht sehr zugute kommt, wo er ohne Schroffheit eine ausgezeichnete Autorität ausübt", schrieb Freudenberg, indem er S.s Aufnahme in die Fakultät warm empfahl. S. begann in Heidelberg selbständige Forschungen in der Zuckerchemie und 1931 konnte er sich habilitieren.

 

Seine Lehrtätigkeit als Dozent begann S. mit der Antrittsvorlesung "Das wissenschaftliche Werk Richard Willstätters", in welcher er seinen Lehrer würdigte. Er las über "Zuckerchemie", "Analyse und Konstitutionsvermittlung organischer Verbindungen" und ab 1936 auch über "Die chemischen Kampfstoffe". Sein echter Arbeitsplatz war aber das Organisch-Chemische Laboratorium, das er ab Herbst 1936 und bis zur Emeritierung mit vollem Einsatz leitete. "Otto S. zeichnet sich aus durch größte Gediegenheit der Arbeiten und Gründlichkeit in der Unterweisung seiner Schüler... [Er] ist eine gefestigte klare Persönlichkeit von unbestechlichen Anstandsgefühl und größter Pflichttreue", schrieb Freudenberg im Mai 1935 in seinem Antrag über planmäßige a. o. Professur für S. Jedoch, trotz der tadellosen Biographie - S. war nicht nur aktiver Kriegsteilnehmer, sondern Mitglied des NSKK [NS Kraftfahrerkorps] ab 1933 und der NSDAP ab 1937 - genoss er kein Vertrauen bei der NS-Macht der Universität, weil er unbeirrt an der Seite der Wissenschaft und Unterricht ohne Politik stand und hier den Institutsdirektor Freudenberg aktiv unterstützte. Wegen dieser Verhältnisse, aber auch einer verleumderischen Denunziation, wurde S. erst im Herbst 1939 zum beamteten a. o. Professor ernannt. Der II. Weltkrieg brach aber schon aus und der Reserveoffizier S. musste bald ins Feld. Im Frühjahr 1942 sollte er den Tod seines Sohnes Werner in der Nachbardivision an der Ostfront erleben. Nach den langen Bemühungen von Freudenberg wurde S., schon als Major Mitte 1942 infolge UK Stellung aus Heeresdienst entlassen.

 

Nach dem Zusammenbruch war S., wieder wegen falscher Denunziationen, lange suspendiert. Sein Haus wurde mitsamt den Möbeln beschlagnahmt; die Familie durfte im Keller wohnen. Sein Schicksal ertrug S. mit großer menschlicher Würde; seine Erholung war Geigenspiel: Noch während der Schulzeit zeigte sich S. als begabter Geigenspieler - das Können, dem er lebenslang treu blieb.

Erst im Herbst 1947 gelang es, S. wieder in die Fakultät zurückzustellen.

 

Nun begann S. die neue, vielleicht die erfolgreichste Phase seiner Laufbahn. Neben seinen Vorlesungen über "Zuckerchemie und Stereochemie" und Spezielle Chemie der aliphatischen, bzw. aromatischen Verbindungen führte er mit zahlreichen Doktoranden - insgesamt hatte er mehr als 90 erzogen - gut geplante und sorgfältig ausfüllte Untersuchungen der Gerbstoffe. Er wusste, so sein Schüler W. Mayer, "eine gleichermaßen menschlich wie wissenschaftlich fruchtbare Partnerschaft zwischen Lehrer und Schüler zu entwickeln" und das trug viel zu seinen großen wissenschaftlichen Erfolgen bei. Diese fanden Anerkennung: Wahl zu zum Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und Titel des persönlichen Ordinarius, aber auch Einladungen zu Vortragsreisen in England (1953 und 1962), Schweden (1953), Amerika (1962) und Indien (1961-1962).

Mit Ablauf des Wintersemesters 1962/63 emeritierte S. wegen des Alters, aber als Vertreter seines eigenen Lehrstuhls setzte seine Lehrtätigkeit fort noch zwei Semester. Nach dem Ende der Lehrtätigkeit arbeitete S. im Chemischen Institut mit 1-2 Mitarbeitern noch bis zum Herbst 1969. So konnte er seine Forschungen abrunden.

 

Wissenschaftliches Werk S.s ist in ein hundert Aufsätzen niederschlagen, die alle der Chemie von Naturstoffen gewidmet sind. Die Forschungen S.s waren mit den Blütenfarbstoffen begonnen, dann wurden sie mit einer Arbeit zusammen mit Freudenberg über Catechin erweitert, indem S. ein neuer Zusammenhang unter den Pflanzenstoffen aufgedeckt hatte (und zwar zwischen Catechin und dem Farbstoff der Rose). Von diesen ersten Arbeiten unterstützt, betrat S. in das Gebiet der Zuckerchemie, wo er sich besonders mit den seltenen verzweigten Zuckern beschäftigte und die Konstitution und Konfiguration einer Reihe dieser Stoffe aufklären konnte, einschließlich die der viel umstrittenen Digitalose (ein Bestandteil der Herzmittel aus Digitalis).

Die andere Seite seines Lebenswerks bildeten die Forschungen über eine große Anzahl von zuckerhaltigen Pflanzengerbstoffen. Dazu gehört die Hälfte seiner Publikationen. S. konnte als erster, mit seinen Schülern, durch das sehr konsequente akribische Arbeiten eine ganze Reihe komplizierten Gerbstoffe und Gerbstoffbausteine in reiner Form isolieren und aufklären. Dabei gelang es, ein deutlicher genetischer Zusammenhang zwischen diesen zahlreichen Substanzen zu erkennen und Vorstellungen zu entwickeln, wie diese Substanzen in der Pflanze entstehen. So wurde ein ganzes Kapitel der Naturstoffchemie geschaffen, "ein geschlossenes Stück, in dem jedes Glied seinen Platz erhalten hat, in dem biochemische Zusammenhänge sichtbar werden" (K. Freudenberg).

Als bedeutender Naturstoffchemiker, passionierter Hochschullehrer und würdiger, gerechter Mensch bleibt S. nicht nur in der Geschichte der Universität Heidelberg, sondern auch in der Geschichte der organischen Chemie.

 

 

UA München (Studentenkartei von Otto Schmidt; OC-I-51p, Otto Schmidt); UA Heidelberg: H-V-4/29, Nr. 63 (Habilitation S.); PA 5688; PA 5689; PA 2975; Rep. 14, Nr. 58, 541, 583, 613); StA Karlsruhe (Auskunft), StA Heidelberg (Auskünfte); Informationen von Prof. Klaus Schmidt-Koenig.

 

 

W Synthese neuer Anthocyanidine (mit R. Willstätter), Berr. Dt. Chem. Ges., 57, 1924, 1945-1950; Zur Konfiguration der Digitalose (mit H. Zeiser), ebd., 67, 1934, 2127-2131; Über Gültigkeitsbereich optischer Drehungsregeln in der Zuckergruppe (mit A. Simon), Journal f. praktische Chemie, 152,1939, 190-204; Die Synthese der Digitalose (mit E. Wernicke), Liebigs Ann. d. Chemie, 558, 1947, 70-80; Chebulagsäure, ein kristallisierter Ellagen-Gerbstoff aus Myrobalanen (mit W. Nieswandt), ebd., 568, 1950, 165-173; Zucker und ihre Abkömmlinge, in: Naturforschung und Medizin in Deutschland 1939-1946 (FIAT Review), Bd. 37: Präparative organische Chemie, Teil II, Weinheim, 1953, S. 53-107; Natürliche Gerbstoffe, in: K. Paech, M. V. Tracey (Hg.), Moderne Methoden der Pflanzenanalyse, Bd. 3, 1955, S. 517-548; Gallotannine und Ellagen-gerbstoffe, in: L. Zechmeister (Hg.), Fortschritte der Chemie organischer Naturstoffe, Bd. 13, 1956, S. 70-136; Hydrolisierbare Gerbstoffe, Angewandte Chemie, 68, 1956, 103-110; Antrittsrede, Jb. d. Heidelberger Akad. d. Wiss. f. 1957/58, S. 27-29; Zur Umwandlung des α-Glucogallins in 2-Galloylglucose (Acylwanderung) (mit H. Schmadel), Liebigs Ann. d. Chemie, 649, 1961, 157-167; Die Gerbstoffe der Myrobalanen (mit J. Schulz u. H. Fiesser), ebd., 706, 1967, 187-197; Protonenresonanz-Spektren und Konformatiosbestimmung einiger Gerbstoffe (mit J. C. Jochims u. G. Taigel), ebd., 717, 1968, 169-185.

 

 

L Poggendorff J. C., Biographisch-literarisches Handwörterbuch, Bd. VI, 1940, S. 2342: Bd. VIIa, Teil 4 , 1961, S. 168-169; Bd. VIII, Teil 3, 2004, S. 2143 (mit Bibliographie); K. Freudenberg, W. Mayer, O. Th. S. +, Jb. d. Heidelberger Akad. d. Wiss. f. 1973, S. 79-83; W. Mayer, O. Th. S. +, Liebigs Ann. d. Chemie, 1973, S. 1758-1776 (mit dem Bild und dem Verzeichnis der Werke); H. Grünwald, O. Th. S., in: Semper Apertus, Bd.II, 1985, S. 359-360.

 

 

B s. Ruperto Carola, Jan. 1951, Nr. 3, S. 8; (Mayer); UA Heidelberg.