Müller-Clemm (bis 1920 Müller), Hellmuth Adolf Hans, Papierchemiker, Verbandsfunktionär,

8.12.1892, Mannheim, ev., + 3.2.1982, Lindau (Bodensee)


 

V Georg Wilhelm Müller (1862-1906), Leutnant und Adjutant des Regiments 110;

M Anna Ernestine, geb. Clemm (1868-1956);

G Margaretha Maria Katharina (1890-?); Wolfgang Friedrich Georg (1891-1972); Kurt (1897-1970).

∞ 1921 in Gutach (Breisgau) Anna Luisa Gütermann (1900-1985);

K Wolfgang (1922-1942); Heinz (geb. 1923); Benno (geb. 1923); Dieter (geb. 1929).

 

 

1913 VII 19                       Abschluss der 9-klassigen Oberrealschule zu Konstanz

1913-1918                        Militärdienst, von Ende Juli 1914 bis Nov. 1914 im Feld

1918-1921                        Studium der Chemie in Heidelberg und Freiburg

1921 V 10                         Promotion mit der Dissertation "Zur Kenntnis der 

                                           Sulfitlauge" (Ref. Prof. R. Schwarz)

1921                                  Umzug nach Mannheim; Antritt bei der Zellstoff-Fabrik

                                           Waldhof

1927 XI 1                          Stellvertretendes Mitglied des Vorstands der Fabrik

1933                                  Ordentliches Vorstandsmitglied des Waldhof-Konzerns; 
                                           Umzugnach Berlin; Vorsitzender des Vereins der 
                                           Zellstoff- und Papier- Chemiker und ?Ingenieurs
                                           (Zellcheming) (bis 1941)

1939 XII                             Ehrensenator der TH Darmstadt (erneut 1962)

1946                                 Ausscheiden aus dem Waldhof-Konzern

1948                                 Wiederaufbau des Vereins Zellcheming; Vorsitzender 
                                          desVereins (bis 1962)
1956                                 Präsident des Internationalen Komitees für Zellulose und
                                          Papier(EUCEPA) (bis 1959)

1959                                 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der BRD

1968 I                               Dr.-Ing. h. c. TH Darmstadt

 

 

 

M. wurde als jüngstes Kind eines Offiziers geboren und sollte mit der Familie mehrmals den Wohnort wechseln. Er besuchte das Gymnasium in Berlin und die Oberrealschule zu Heidelberg und Konstanz. Nach dem frühen Tod seines Vaters, damals Bataillonskommandeur in Kassel, wurde der Lebensweg des Dreizehnjährigen durch seine Mutter und ihren Bruder Hans Clemm, technischer Leiter der Zellstoff-Fabrik Waldhof (Mannheim) bestimmt.

Mit 20 Jahren, nach Schulabschluss, trat M. als Einjähriger Freiwilliger ins Dragoner-Regiment 14 in Colmar ein und rückte am 28. Juli 1914 ins Feld. Er nahm am Krieg im Westen und Osten in Kavalleriedivisionen, aber auch bei der Luftwaffe bis zum November 1918 teil.

Während eines Urlaubs im April 1918 immatrikulierte M. in Heidelberg, wo seine Mutter wohnte, war aber wegen des Heeresdienstes im Sommersemester 1918 noch beurlaubt. Die nächsten zwei Semester studierte er Chemie bei Th. Curtius, bestand das Vorexamen und ging dann nach Freiburg. Dort promovierte M. nach vier Semestern mit einer anorganisch-chemischen Arbeit, die direkt auf die Herstellung der Sulfitlauge für die Zellstoffproduktion gerichtet war, speziell in der Zellstoff-Fabrik Waldhof: Sein Arbeitsantritt bei der Firma war schon lange entschieden.

Nach seiner Hochzeit zog M. mit seiner Frau nach Mannheim um, im Juni 1921 begann seine Arbeit bei der Zellstoff-Fabrik. Zuerst beschäftigte er sich mit Sulfitablaugenverwertung, dann leitete er die Aktivkohleanlage. Er machte mehrere Verbesserungen, die in Betrieb genommen wurden.

Nach dem Tod seines Onkels Hans Clemm beginnt die Erneuerung der Verwaltung der Firma, die unter Clemms Leitung zu einem Konzern herangewachsen war, und M. kommt in den Vorstand.

Jetzt widmet er sich besonders der Entwicklung eines Zellstoffs für Kunstseide. Schon 1928 wurde beschlossen, eine Kunstseideversuchsanlage zu Studium und Kontrolle der verschiedenen Rohstoffe einzurichten. "Erst dadurch gelang es uns, sehr viele Fehler zu erkennen, die von Zellstoffseite aus unwissend gemacht wurden, und erst durch diese Anlage gelang uns immer mehr, mit dem Kunstseidefabrikanten in derselben Sprache zu reden", erzählte er rückblickend. M. beschäftigte sich insbesondere mit internationalen Ansprachen hinsichtlich einer Angleichung der Analysen und der Bestimmungsmethoden der Festigkeit von Zellstoffen. Ein großer Erfolg für ihn war die durch ihn eingeleitete und verwirklichte Gründung der internationalen Vereinigung der Zellstoffwerke, die Zellstoff für die Kunstfaserindustrie herstellten (R. P. S. - Reyon Pulp Suppliers).

 

1933 wird M. zum ordentlichen Vorstandsmitglied der Hauptverwaltung des Waldhof-Konzerns in Berlin. Ende 1933 übernimmt er auch den Vorsitz im Verein der Zellstoff- und Papier-Chemiker und -Ingenieure (Zellcheming), damals in Berlin. Er war schon vor 1933 für den Verein als Vertreter bei den Kontakten mit Fachleuten in England und auch in verschiedenen Kommissionen tätig. Nun arbeitet M. fast ausschließlich organisatorisch.

Insbesondere beteiligt M. sich bei einer bedeutenden Erweiterung der Kapazitäten durch Produktionsstätten im Ost Deutschlands und durch die Errichtung der Anlagen in Kexholm, Finnland. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender von Zellcheming kann er die Selbständigkeit des Vereins bei neuen Anordnungen bewahren, so dass der Verein nur als formeller Annex des NS-Bund Deutscher Technik geführt wurde. Dank M.s Initiative wurden viele internationale Verbindungen des Vereins hergestellt. Von ihm stammt auch die Gründung der Forschungsstelle Papiergeschichte (1938) am Gutenberg-Museum in Mainz. M. verstand es sehr gut, die Lehrstühle Papierfabrikation und Zellstoffchemie an der TH Darmstadt von Seiten der Industrie zu fördern; seine Verdienste in dieser Hinsicht wurden durch die Verleihung der Ehrensenatorwürde der TH Darmstadt anerkannt.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde M. nochmals als Reserveoffizier für ein Jahr zur Luftwaffe eingezogen, dann aber für seine kriegswichtige Tätigkeit bei der Zellstoffindustrie vom Militärdienst freigestellt. Die Vereinsleitung sollte er im Februar 1941 verlassen.

 

Nach dem Zusammenbruch leitete M. per Order der US-Besatzungsmacht die Zellstoff-Fabrik Waldhof. Es handelte sich um den Weiterbestand des Unternehmens, insbesondere um den Erhalt der Belegschaft. Nachdem die Fortführung des Unternehmens gesichert war, schied M. in gegenseitigem Einvernehmen Ende 1946 aus. Danach wirkte er als freier Berater der Zellstoff- und Papierindustrie und wohnte am Bodensee, zuerst in Kappelhof bei Friedrichshafen, ab 1957 in Lindau bei Reutin.

 

Anfang 1948 wurde M. durch eine Gruppe von Fachleuten gebeten, den Wiederaufbau des Zellcheming zu führen. M. schuf ein Team von arbeitsfähigen Mitarbeitern und leitete den Verein bis Juni 1962. Auf seine Weisung wurde der Verein nach Darmstadt verlegt.

M.s Verdienst war, dass Zellcheming mit seinen Bezirksvereinen und zahlreichen Fachausschüssen an der Schaffung und Übermittlung von Wissensmaterial in der Chemie, der Technologie und der Technik des Zellstoff- und Papierwesens arbeitete. Besonders sei seine Förderung der Nachwuchsausbildung für Zellstoff- und Papierindustrie erwähnt; dank seiner Initiative wurden die entsprechenden Fachrichtungen an der TH Darmstadt 1948 wiederhergestellt und 1949 am Oskar-von-Miller-Polytechnikum in München gegründet.

M. betonte, "dass jedes echte akademische Studium nicht nur dem Zweck des Broterwerbs dient, sondern die Persönlichkeit formen und den Menschen zur inneren Freiheit verhelfen soll."

Auf M.s Initiative entstand 1950 die Papiertechnische Stiftung, die Auftragsforschungen durchführt. M. beteiligte sich an der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Industrieller Forschung (1954) und gehörte zu ihrem Präsidium. 20 Jahre leitete M. auch das Kuratorium für Forschung und Berufsausbildung im Rahmen der Treuhandstelle der Zellstoff- und Papierindustrie. M. nahm auch an der Herausgabe der internationalen Zeitschrift "Pulp and Paper International" als "Technical Editor for West Germany" teil.

 

Vor und besonders nach dem Krieg unternahm M. viele Studienreisen, so nach Chile, Mexiko, Südafrika, Ägypten, Indonesien und mehrere Male nach den USA und Kanada, woher er manche forscherische Anregungen mitbrachte. Durch seine internationalen Beziehungen gelang es M. 1956, das "Comité Européen de Liaison pour la Cellulose et le Papier" (EUCEPA) zu organisieren, das alle auf den Gebieten Zellstoff und Papier wissenschaftlich tätigen Verbände zusammenführte. 1956-1959 fungierte M. als Präsident des Komitees. Im Oktober 1959 hatte EUCEPA M. zum Ehrenpräsidenten ernannt.

M. gehörte ehrenamtlich auch noch anderen Gremien an; so war er Vorsitzender des Vereins der Freunde des Instituts für Seenbewirtschaftung und Reinhaltung der Gewässer in Langenargen (Bodensee).

 

Seine Fähigkeit als Leiter wurde durch Überzeugungskraft, Zähigkeit und Wagemut charakterisiert. 1962 verließ M. seine Position beim Zellcheming, lebte aber aktiv noch fast 20 Jahre. M. war ein sehr vielseitiger Mensch, ein guter Sportler, insbesondere Skiläufer, Segler und Flugzeugführer, schrieb Gedichte, sammelte Miniaturen, fotografierte und konnte im Kreise der Freunde durch Erzählungen aus seinem ereignisreichen Leben brillieren.

1984 gründete Zellcheming den nach M. benannten Förderverein zur Unterstützung von Absolventen der TH Darmstadt und FH München.

 

 

Q StA Mannheim, Melderegister (Auskunft); UA Heidelberg, (Studentenakten 1910-1920; Rep. 14-633); UA Freiburg, Promotionsakte (B31/445); Verein Zellcheming, Darmstadt (Vereinsarchivalien).

 

 

W Holzverhältnisse an der Pazifikküste von USA in Bezug zur Zellstoff-Industrie, Der Papier-Fabrikant, 39, 1932, 97-100; Finnland in seiner politischen und wirtschaftlichen Bedeutung, ebd., 32, 1934, Sonderheft, S. 51-53; Genügen Deutschlands Holzbestände für unsere Kunstseidenindustrie? Ja, Kunstseide, 16, 1934, 342-345; Der Stand der heutigen Qualitäts-Zellstoffe, Der Papier-Fabrikant, 38, 1940, 309-320; Hans Clemm, NDB, Bd. 3, 1957, S. 286; Germany?s Technical Revival, Pulp & Paper International, 2, 1960, No. 4, p. 32-33; Die Fachrichtung des akademischen Papieringenieurwesens der Technischen Hochschule Darmstadt, Das Papier, 15, 1961, 121-126; Die akademische Ausbildung der Cellulosechemiker an der Technischen Hochschule Darmstadt, Ebd., 219-222; Gedenken und Gedanken [1962].

 

 

L Frieder Schmidt: M., NDB 18, 1997, S. 492; Fünfzig Jahre Verein der Zellstoff- und Papier-Chemiker und ?Ingenieure, Darmstadt, 1955, S. 41-43, 48-51, 88-93, 121-122 (B); Das Papier, 16, 1962, 753 (B); 1967, 21, 854-855 (B); 26, 1972, 771-773 (B); 31, 1977, 548-549 (B); 36, 1982, 150-151.

 

 

B s. L; Verein Zellcheming, Darmstadt.