BREDIG, Georg, Chemiker

* 1.10.1868, Glogau, Niederschlesien (jetzt Glogow, Polen), isr., seit 1900 evangelisch,  + 24.04.1944, New York

 

 

 

V Max B. (1842-1899), Kaufmann
M Ernestine, geb. Troplowitz (1847-1930)
G 4 Schwestern 
oo 3.01.1901 Rosa Fraenkel (1877-1933)

 

K Max Albert B. (1902-1977); Marianne, verh. Homburger (1903-1987)

 

 

Ostern 1886                              Abschlussdes humanistischen Gymnasium in Glogau mit

                                                Reifezeugnis
Sommersemester 1886              Studien Naturwissenschaften an d. Univ. Freiburg i. Br.
16.10.1886-28.09.1889               Studium der Chemie und der Physik an d. Univ. Berlin
1889-1893                                 Studium an d. Univ. Leipzig
7.03.1894                                  Promotion zum Dr. phil. ebda.
1894-1895                                 Studien in Amsterdam, Paris und Stockholm
1.11.1895                                  Assistent am Physikalisch-Chemischen Institut d. Univ. Leipzig 
9.02.1901                                 Habilitation ebda.
1.10.1901                                 etatmäáiger a.o. Prof. für physikalische Chemie an d. Univ.

                                               Heidelberg
1.04.1910                                 o. Professor an d. ETH Zürich 
1.10.1911                                 o. Prof. für physikalische Chemie und Elektrochemie an d. TH

                                               Karlsruhe 
V.1914                                     Ehrenpreis für die Arbeiten über die Katalyse vom "Institut

                                               Solvay", Brüssel 
1920                                        Mitglied d. Kgl. Akademie d. Wissenschaften, Amsterdam 
23.05.1922                               Wahl zum Rektor für das Studienjahr 1922/23
V.1924                                     Wahl zum a.o. Mitglied d. Heidelberger Akademie der

                                               Wissenschaften 
1930                                        Dr.sc. techn. h.c., ETH Zürich
1.10.1933                                 Entlassung vom Dienst 
Herbst 1937                              Auswanderung des Sohnes nach USA
XII.1938                                    Ausschluss aus d. Heidelberger Akademie d. Wiss.
29.07.1939                               Auswanderungserlaubnis 
Herbst 1939                             Auswanderung nach Holland 
Frühjahr 1940                           Überfahrt nach USA

 

 

B. erlebte eine glückliche Kindheit in wohlhabender kaufmännischer Familie. Seine Entwicklung wurde stark durch den Onkel seiner Mutter, Buchhändler M. Hollstein beeinflusst; daher stammten seine Belesenheit, die später alle Zeitgenossen erwähnten, und seine Liebe für Musik (er war ein guter Geiger). Zugleich zeigte er ein besonderes Interesse für Chemie und führte zu Hause verschiedene Experimente durch; deswegen bekam er von Nachbarn den Spitzname "Apotheker". B. besuchte das katholische humanistische Gymnasium zu Glogau und schloss 1886 als einer der besten ab. Am Festakt hielt er die Abiturientenrede, damals eine besondere Auszeichnung.

 

Sofort nach dem Abitur begann B. sein Studium, zuerst in Freiburg, von wo er aber bald nach Berlin ging. Er hörte Vorlesungen von A. W. Hoffmann, S. Gabriel und W. Will in der Chemie und von H. Helmholtz und A. Kundt in der Physik. W. Will, damals Privatdozent und Leiter der analytischen Abteilung, zog den jungen Studenten frühzeitig als Mitarbeiter heran. Mit ihm fertigte B. seine ersten wissenschaftlichen Arbeiten aus dem Gebiet der physikalischen Chemie: Will machte B. mit den ersten Bänden der "Zeitschrift für physikalischen Chemie" bekannt, die Ostwald zusammen mit van't Hoff ab 1887 herausgab und dadurch die physikalische Chemie als eine selbständige Wissenschaft institutionalisierte.

Von diesem neuen Arbeitsfeld war B. so begeistert, dass er nach Leipzig übersiedelte, um bei Ostwald diese Wissenschaft näher zu studieren. Außerdem übten die Vorlesungen von J. Wislicenus über Stereochemie und besonders von K. Ludwig über Physiologie großen Einfluss auf ihn aus. (Wie seine Eltern verlangten, ließ B. sich gleichzeitig in die medizinische Fakultät einschreiben und studierte Physiologie, trieb aber medizinische Studium nur vorübergehend.)

In dem berühmten Leipziger Institut für physikalische Chemie arbeitete B. unter Ostwalds Leitung an seiner Promotionsarbeit. Diese, so Ostwald, "gehört ihrem Umfang und Inhalt zu den besten Dissertationen, die mir zu Gesicht gekommen sind". B. promovierte summa cum laude und ging nach Amsterdam zur weiteren Ausbildung bei van't Hoff, wo er zwei Semester arbeitete und sich mit E. Cohen sehr befreundete (damals publizierten sie zusammen einige Artikel). Danach arbeitete B. ein paar Monate bei Berthelot in Paris und bei Arrhenius in Stockholm. Nach anderthalb Jahren kehrte B. nach Leipzig als Assistent Ostwalds zurück. In der Atmosphäre des geistig reichen und wissenschaftlich regen Lebens des physiko-chemischen Instituts schuf B. eine Reihe von Pionierarbeiten über die durch ihn entdeckte Methode der Herstellung kolloidaler Metalle und über ihre katalytischen Eigenschaften. Die Ergebnisse wurden in der Monographie "Anorganische Fermente" zusammengefasst, die B. als Habilitationsschrift vorgelegt hatte. Nach dem Kolloquium und der Probevorlesung "Über die Chemie der extremen Temperaturen" erhielt B. die venia legendi.

Der frischgebackene Privatdozent war schon ein bekannter Wissenschaftler mit mehr als 40 Publikationen, so dass er sehr bald nach Heidelberg als a.o. Professor berufen wurde. In Heidelberg setzte B. die Leipziger Tradition fort, seine Schüler an eigenen Forschungen teilnehmen zu lassen. Trotz ungünstiger Verhältnisse konnte er mit seinen Schülern in 9 Jahren ca. 50 wissenschaftliche Arbeiten, vorwiegend über die chemische Kinetik und Katalyse, fertigen, wobei er seine Leipziger Forschungen vielseitig und logisch weiter entwickelte.

 

1910 übernahm B. den ordentlichen Lehrstuhl an der ETH Zürich. "In der freien und schönen Schweiz",- schrieb er später,- hat er sich mit seiner Familie sehr wohl gefühlt, aber als er im Herbst 1911 den ehrenvollen Ruf an die TH Karlsruhe erhielt, "konnte er ihn nicht ausschlagen". In Karlsruhe wirkte B. 22 Jahren als o. Professor und Direktor des Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie. Auch hier arbeitete er mit mehreren Schülern auf verschiedenen Gebieten der Physikalischen Chemie und ihrer technischen Anwendungen erfolgreich zusammen.

Während des Krieges übernahm B. nicht nur zwei große Lehrgebiete, sondern führte Arbeiten zur Darstellung der schwefligen Säure aus Gips durch. Als seine Institutsräume teilweise als Hilfslazarett eingerichtet wurden, machte sich B. für ehrenamtliche Kriegshilfsdienste frei. Nach dem Krieg arbeitete er u.a. über die Nutzbarmachung von Ammonsalpetersprengstoffen zu Düngezwecken. Auf die Kriegs- und Nachkriegsjahre fällt auch eine intensive erfinderische Tätigkeit B.'s: Er erhielt mit Mitarbeitern 17 Patente über die Synthese von Ameisensäure, Blausäure und verschiedenen anorganischen Stoffen.

1922 wurde B. als Rektor gewählt. Damals war das ein sehr schwieriges Amt, das er mit großem Ernst ausfüllte. Seine Rektoratrede wurde zu einem Ereignis im öffentlichen Leben Karlsruhes, ihr pazifistischer Geist machte B. aber zum Ziel nationalistischer und antisemitischer Angriffe. Diese verschärften sich, als B. einem Nazionalsozialisten den Raum für einen Vortrag versagte.

Im März 1933 wurde B. durch der Tod seiner geliebten Frau betroffen. Danach begannen politische Verfolgungen. Das Ministerium für Kultus in Karlsruhe erhielt eine Anzeige gegen den "jüdischen Professor Bredig" wegen "sehr bezeichnende Äußerungen seiner undeutschen und schädlichen Gesinnung". B. wurde verhört. Die Rektoratrede lag bei seinen Akten und er zeigte viel Mut bei der Bestätigung seiner Gedanken. Trotzdem genehmigte das Ministerium sein Gesuch, ab 1.10.1933 zu emeritieren.

Seine Bemühungen, weiter privat zu arbeiten waren erfolglos. Seine Kinder sprachen über die Emigration. B. dachte aber anders: "Im Allgemeinen hänge ich trotz Allem noch an meinem Stiefvaterlande und betrachte das Auswandernmüssen als ein schweres Unglück" (im Brief an K. Freudenberg vom 14.7.1933). Als sein Sohn emigrierte und als der 70jährige B. am 10. Nov. 1938 einen Tag, Kopf gegen die Wand, in einem Stall in der Gottsauer-Kaserne stehen musste, entschied er sich endlich auszuwandern. In seinem Antrag, den er anstatt dem gesetzlich für Juden vorgeschriebenen ersten Vornamen "Israel" mit "Salomon" zu versehen entschied, schrieb er: "Im 71. Lebensjahre stehe ich jetzt vor der Frage, entweder nach der durch die Zeitverhältnisse notwendig gewordenen Auswanderung meiner Kinder hier seelisch vereinsamt und körperlich hilflos zu werden oder ihnen zu folgen".

Sein Freund K. Freudenberg, der als einer der letzten B. sah, erinnerte sich: "Ich fand ihn mitten in dem leeren Zimmer stehen. Die Bibliothek war verkauft und die leeren Regale standen an den Wänden. Den Eindruck der Verlorenheit des altes Mannes werde ich nie vergessen".

B. kam zuerst nach Holland zu seinem Freund E. Cohen, der, dank der Gnade der Königin ein Visum für ihn verschaffen konnte, und es war Cohen, der B. überzeugte, nach USA zu gehen. Das Leben in New York war hart für B. insbesondere wegen der Angst für die Tochter, die im Oktober 1940 mit ihrem Mann ins Internierungslager Gurs (Südfrankreich) deportiert wurde. B. hatte noch das Glück, seine Tochter und seinen Schwiegersohn nach USA kommen zu sehen, sein Leben war aber erschöpft.

In der Geschichte der Chemie bleibt B. als vielseitiger Physikochemiker. Seine erste Forschungen galten der gründlichen Erarbeitung der Bereiche, deren Prinzipien schon durch seine Lehrer formuliert worden waren. Seine wirklich bahnbrechenden Arbeiten gehören aber der Katalyselehre. Nach dem Wort Fr. Habers schuf B. die "Grammatik" für die Sprache, in der katalytische Reaktionen beschrieben werden. B. führte die Methode der Modellreaktionen in die katalytische Forschung ein, entdeckte und erforschte neue katalytische periodische Erscheinungen, zielgerichtet entdeckte und untersuchte er die sog. "asymmetrische Katalyse" (d.h. die unterschiedliche katalytische Wirkung auf die Reaktionsfähigkeit optischer Isomere). Er erforschte auch die Beziehungen zwischen katalytischer Aktivität und physikalischem Zustand von Metallen. Besonders interessant ist, dassseine Forschungen sich auch auf die Grenzgebiete zwischen Katalyse, Kolloidchemie, organischer Chemie und Biochemie beziehen und zu Ausgangspunkten mehrerer Forschungsgebiete der modernen Chemie wurden.

B. fungierte auch als Übersetzer und Herausgeber; eine wichtige Reihe "Handbuch der angewandten physikalischen Chemie" (14 Bde., 1905-1926) sei hier erwähnt. Freunde und Schüler warteten auf den Band über Katalyse von B. für diese Reihe. Das Schicksal steuerte aber anders. Der einzige Aufsatz, den B. nach 1933 verfassen konnte, ist ein Überblick seiner wissenschaftlichen Tätigkeit, unter dem Titel "Georg Bredig. Seinen Freunden zur Erinnerung". Freudenberg, der dieses Heftchen von B. bekam und sorgfältig aufbewahrte, schrieb später: "B. war ein Patriot im allerbesten Sinne. Dass sein Glaube an Deutschland und das deutsche Volk so schwer erschüttert wurde, war wohl der schwerste Stoß, der ihn getroffen hat, und ich kann sagen, dass er bis zuletzt nicht verstehen konnte, dass er als Deutscher von seinem Volk verstoßen wurde".


Q UA Freiburg (A 66/7; B 44/124, S. 164); UA (Humboldt-U) Berlin (Matrikelbuch Nr. 36/77; RIS, AZ vom 29.09.1889); UA Leipzig (Phil. Fak. Prom. 1375; PA 348; Rep. I/XVI/VII C54, Bd. 2, Nr. 569); UA Heidelberg (PA 1388; Rep. 14/131); UB Heidelberg (Hs 3833; Sep. S. Krehl, B1746-B1752); UB Karlsruhe (IV A 8161); UA Karlsruhe (O/1/49; O/1/52); A d. Heidelberger Akad. d. Wiss. (1,11, Bredig); GLA Karlsruhe (235/1832; 235/4112; 466/5881); Private Auskünfte von Nachkommen B.'s aus USA.

 

 

W W. Will u. G. B., Umwandlung von Hyoscyamin in Atropin durch Basen. Beitrag zur Kenntniss der Massenwirkung, Ber. Dt. Chem.Ges., 1888, 21, 2777-2797; Diss.: I. Beiträge zur Stöchiometrie der Ionenbewegung; II. Über die Affinitätsgröáen der Basen, Lepzig, 1894 und Zs. physik. Chem. 1894, 13, 191-288, 289-326; Darstellung colloidaler Metalllösungen durch elektrische Zerstäubung, Zs. angew. Chem., 1898, H. 41, 951-953; Anorganische Fermente (Habilitationsschrift), Leipzig, 1901; [Diskussionsrede bezüglich der Erweiterung der Ziele der Dt. Elektrochem. Ges.], Zs. Elektrochem., 1901, 7, 667-668; Chemische Kinetik des Diazoessigesters und ihre Anwendungen, Verh. naturhist. med. Vereins Heidelberg, 1908, 9, 1-43; Marcelin Berthelot+, Zs. angew. Chem., 1907, 20, 689-694; Altes und Neues von der Katalyse, Biochemische Zs. 1907, 6, 283-326; Zur Stereochemie der Katalyse (mit K. Fajans), Ber. Dt. Chem. Ges., 1908, 41, 752-763; Durch Katalysatoren bewirkte asymmetrische Synthese, Chem. Ztg., 1911, S. 324-325; J. H. van't Hoff+, Zs. angew. Chem, 24, 1074-1087; Katalyse, In: Ullmanns Enzyklopädie d. technischen Chemie, 1. Aufl., Bd. 6, Berlin, 1919, S. 665-688; Denkmethoden der Chemie, Rektoratrede 9.12.1922, Leipzig 1923; Asymmetrische Synthese durch Katalysatoren als Modell der Fermentwirkung (mit M. Minaeff), Festschrift anläßlich des 100jährigen Bestehens d. TH Fridericiana zu Karlsruhe, 1925, S. 468-475; Röntgenuntersuchungen an katalytisch wirkenden Metallen (mit R. Allolio), Zs. physik. Chem., 1927, 126, 41-71; Erinnerungen an mein Amsterdamer Studienjahr, Chem. Weekbl., 1927, 24, 479-481; Wilhelm Ostwald+, Karlsruher Akademische Mitteilungen, 1932, S. 4-5; Georg Bredig. Seinen Freunden zur Erinnerung, 1938 (In einigen Exemplaren privat gedruckt).

 

 

L F. Haber, Zum 60. Geburtstage von Georg B., Zs. Elektrochem., 1928, 34, 677-679; M. Trautz, Das physikalische Institut der Universität Heidelberg, ebd., 1930, 36, 346-354; A. Koenig, G. B., Die TH Fridericiana, Festschrift zur 125-Jahrfeier, Karlsruhe, 1950, S.27-28; P. Günther, Der Lehrstuhl für physikalische Chemie, ebd. S.150-151; W. Kuhn, G. B., Chemische Berichte, 1962, 95, Nr.11, S. XLVII-LXIII (mit Bibliographie); J. R. Partington, A History of Chemistry, vol. IV, London, 1964, p. 681; K.-P. Hoepke, Jüdische Gelehrte und Studierende an der Technischen Hochschule Karlsruhe, In: Juden in Karlsruhe, Karlsruhe 1988, S. 328-332, 439-440; Valentin Wehefritz, Pionier der Physikalischen Chemie Georg Bredig (1868-1944), Dortmund, 1998.

 

 

B Zs. physik. Chem., Bd. 137 (1928); Hoepke (s. L), S. 328; Wehefritz (s. L), S. 31; Photos im UA und in der UB (Chem. Inst.) Heidelberg.