Kategorie: Kurzbiografien
Zugriffe: 702

V Heinrich Franz Albert (1848-1906), Besitzer u. Direktor d. chem. Fabrik in Goldschmieden.

Marie, geb. Haase.

G 4; Johanna, verh. Suckow, Frieda, verh. Suckow, Julie, verh. Kraushaar, Margarete, verh. Stoltzenberg.

oo 1. 1908 (Hannover) Margarete Therese, geb. Sachs (1885-1961), gesch. 1922.;2. 1923 [?] (Heidelberg) Ottilie Lilian, geb. Kratzert (1896-1972).

3; Renate Ruth Adelheid, verh. Burgess (1910-1988), Johannes (1916-1988), Joachim Wolfgang (1925-1975)

 

1903                    Abschluss des Realgymnasiums in Breslau, dann Arbeit in d.  

                          "  Friedrich-Wilhelms-Hütte" Mülheim a. d. Ruhr

1903-1904          Studien in Breslau

1904-1905          Einjährig-Freiwilliger bei d. Feldartillerie Breslau

1905-1907          Studien in Breslau u. Leipzig

1907                    Dr. phil., Leipzig

1909                    Arbeit bei Fr. Haber an d. TH Karlsruhe

1909-1912         Arbeit bei M. Bodenstein an d. TH Hannover

1912                    Habilitation, Privatdozent für physikal. Chemie an d. TH 

                             Hannover

1913, III.19          Patentanmeldung über Kohleverflüssigung

1914                    Leiter des wissenschaftl. Laboratoriums d. Th. Goldschmidt AG 

                             in Essen, ab 1916 stellv. Vorstandsmitglied

1916                    Einrichtung der Versuchsanstalt in Mannheim-Rheinau

1918                    Umzug nach Berlin

1920                    Generaldirektor d. Dt. Bergin AG für Kohle u. Erdölchemie in 

                             Heidelberg

1925                   Vertrag mit d. BASF über Übertragung d. Patentrechte für die 

                             Kohlehydrierung

1927                    Dr. phil. nat. h.c., Heidelberg

1928                   Vorsitzender des Aufsichtsrats der Holzhydrolyse AG in

                             Heidelberg

1931                    Dr. Ing. E.h., TH Hannover

1931 XII. 10         Nobelpreis für Chemie

1932 V. 21           Nobelvortrag "Chemische Reaktionen unter hohem Druck"

1942 VII               Umzug nach Berlin

1945 (?)               Erwerb d. österr. Staatsangehörigkeit

1947                     Umzug nach Buenos Aires

 

 

B. entstammt einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie. Sein Vater betrieb eine kleine Fabrik für Tonerdeherstellung. Erste Jugendeindrücke von chemischen Verfahren, aber auch von patriarchalischen Verhältnissen mögen haften geblieben sein. Nach einer Zeit des Hausunterrichts besuchte B. das Realgymnasium am Zwinger in Breslau, an die er sich später gerne zurückerinnerte. Nach dem Abschluss arbeitete B. in einem Hüttenwerk an der Ruhr, hauptsächlich im Laboratorium, wo er einen guten Überblick über das ganze Werk gewann.

 

Im Herbst 1903 begann er sein Universitätsstudium in Breslau mit Hauptfach Chemie. Seine Lehrer waren der Organiker A. Ladenburg und besonders der Physiko-Chemiker R. Abegg. Nachdem er sein Verbandsexamen bestanden hatte, bezog er im Wintersemester 1905/06 die Univ. Leipzig, wo er bei dem Physiko-Chemiker A. Hantzsch seine Doktorarbeit "Über absolute Schwefelsäure als Lösungsmittel" begann. Der Tod seines Vaters zwang ihn, nach Breslau zurückzukehren. Hier beendete er unter Abegg seine Dissertation, promovierte aber zum Dr. phil. in Leipzig. Das außerordentlich rege wissenschaftliche Leben in den Laboratorien von Hantzsch und Abegg veranlasste B., einen wissenschaftlichen Weg einzuschlagen.

Nach seiner Promotion arbeitete er bei zwei weiteren Physiko-Chemikern: bei W. Nernst in Berlin zwei Semester und eines bei F. Haber in Karlsruhe. Während dieser anderthalb Jahre wuchs B.s Interesse an einem neuen Gebiet der Hochdruckchemie, das sowohl Nernst als auch Haber theoretisch und experimentell aufgenommen hatten. Im Herbst 1909 ging B. nach Hannover als M. Bodensteins Assistent an dessen Institut für physikalische Chemie der TH Hannover.

 

B. stellte sich die Aufgabe zu erforschen, "wie man den hohen Druck in ganz verschiedener Weise zur Durchführung chemischer Reaktionen vorteilhaft benutzen kann". Sein erstes Forschungsobjekt war die Dissoziation von Calciumperoxid. Danach folgten Experimente zur Herstellung des komprimierten Wasserstoffs durch Wechselwirkung zwischen Wasser und Eisen, aber auch zwischen Wasser und Kohle unter hohem Druck. Die dabei beobachtete Umwandlung führte zum Versuch, den Entstehungsprozess der natürlichen Steinkohle nachzubilden.

 

Die ersten Ergebnisse stellte B. im September 1911 in seiner Habilitationsschrift dar. Die Gutachter waren M. Bodenstein und der Professor der chemischen Technologie H. Ost. Dieser hatte Zweifel, weshalb B. im Februar 1912 eine verbesserte Version seiner Schrift vorstellte. Dieses Mal waren beide Urteile positiv, wobei Bodenstein schrieb, dass er B. "als ernsten, wissenschaftlich denkenden und tüchtig arbeitenden Menschen" schätze. Mit dem Probevortrag "Die Bindung des atmosphärischen Stickstoffs; ein Vergleich neuerer Verfahren vom technischen und vom wirtschaftlichen Standpunkte" wurde die Habilitation am 19. März 1912 abgeschlossen. Als Privatdozent las B. über "Die Bedeutung der physikalischen Chemie für die chemische und metallurgische Technik", über technische Gasreaktionen, Gleichgewichtslehre und Hüttenkunde.

 

Da der Umfang der hochdrucktechnischen Arbeiten Einrichtungen erforderte, welche in der TH Hannover nicht vorhanden waren, hatte B. schon 1910 ein Privatlaboratorium eingerichtet, wo er mit einigen Mitarbeitern zuerst die apparative Methodik für Hochdruckreaktionen ausarbeitete. Alle Untersuchungen in diesem Laboratorium verfolgten praktische Ziele, und dies bedeutete, dass B. seinen "Verrat" an der reinen Wissenschaft beging. Dem Breslauer Wahlspruch "Suche die Wahrheit und frage nicht, was sie nützt" folgte er nicht mehr. Wie er selbst später zugab, "war eine Umkehr unmöglich. Denn die einmal angefassten Probleme reißen den, der von ihnen besessen ist, ... verstricken ihn in ihre Bande..., bis die Probleme gelöst sind oder ihr Adept besiegt am Boden liegt".

 

Schon 1913 hatte B. seine Lehrtätigkeit aufgegeben. Fortan galt der Kohlehydrierung unter hohem Druck zum erdölähnlichen Produkt sein Hauptinteresse. Für die Entwicklung der Erfindung trat B. in die Th. Goldschmidt AG in Essen ein, wurde Leiter der Forschungslaboratorien mit einem Jahresgehalt von 20000 Goldmark und überführte dorthin sein Labor aus Hannover. Im Kriegsjahr 1916 wurde die industrielle Erarbeitung des Kohleverflüssigungs-Verfahrens mit der Errichtung einer großen Versuchsstation in Mannheim-Rheinau begonnen. Die Anstalt mit einer Belegschaft bis etwa 40 Personen umfasste ein Grundstück von ca. 33 000 qm und schloss 47 Gebäude ein. Hier wurde das "Bergius-Verfahren" verwirklicht.

 

Um sich ganz der Kohleverflüssigung widmen zu können, zog B. nach Heidelberg um, schon in der Eigenschaft des Generaldirektors eines Konsortiums für Kohlechemie. Seine Heidelberger Periode dauerte mehr als zwei Jahrzehnte. Hier begann er einen neuen Lebensabschnitt mit seiner zweiten Gattin und baute ein luxuriöses Haus, das zu einem Mittelpunkt kultureller Geselligkeit wurde. Als vollendeter Gentleman hatte B. eine starke Ausstrahlung, die viele Menschen anzog. Damals fand er auch Zeit für Aktivitäten in der Gesellschaft der Freunde der Univ. Heidelberg, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft und der Deutschen Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums in München.

 

Vielseitig begabt, auch als wissenschaftlicher Schriftsteller, wusste B. seine Arbeit in verschiedenen Artikeln, Vorträgen und Interviews zu propagieren. Um die Mittel für sein Unternehmen zu erhalten, organisierte er verschiedene internationale Konsortien und ersann komplizierte kaufmännische Konstruktionen, war aber 1925 gezwungen, alle seine Patente über Kohleverflüssigung an die IG Farbenindustrie (hier BASF) zu verkaufen. Der Hauptvertrag, gültig für zehn Jahre, sah vor, dass B. als "Mitarbeiter" der BASF "seine gesamten bisherigen und künftigen Erfahrungen... auf dem Gebiet der Kohleverflüssigung... zur Verfügung stellt" für 75 000 RM jährlich. Nachdem mehrere zusätzliche Verträge gefolgt waren, der wichtigste davon 1931, wurde B. aber tatsächlich durch die BASF, die ihre eigene Version (Bergius-Pier-Verfahren) ausarbeitete, nie gefordert.

 

Die Gelder für diese Verträge benutzte B. für sein zweites großes Unternehmen: Bereits 1916, veranlasst durch den Nahrungsmittelmangel, begann B. Forschungsarbeiten über die Umwandlung von Holz in Kohlehydratfuttermittel; ab 1924 nahm er diese Arbeiten in Rheinau wieder auf und konnte 1927 eine halbtechnische Versuchsanlage einrichten. Im "Bergius-Rheinau-Verfahren" wird das zerkleinerte Holz mit hochkonzentrierter Salzsäure in Lignin und Zellulose getrennt und der Zuckergehalt der Zelluloselösung auf 300 Gramm in 1 Liter angereichert. B.s grundlegende Erfindung war hier nicht eigentlich die Holzverzuckerung durch Salzsäure, sondern ein Verfahren, in welchem die Trennung von Salzsäure und Zucker durch Verdampfung der Säure mit Hilfe heißen Mineralöls durchgeführt wird. So wurde die Salzsäure wiedergewonnen, was für das industrielle Verfahren entscheidend war.

 

Auch dieses Unternehmen geriet in finanzielle Schwierigkeiten, selbst der Nobelpreis 1931 verbesserte die Lage nicht. Die Verhältnisse entspannten sich etwas ab 1933. B.s Einstellung gegenüber dem Dritten Reich war sehr positiv. Dazu trugen seine nationalistisch-konservativen Anschauungen bei, aber auch das Interesse des NS-Staats an der weiteren Entwicklung der Bergius-Verfahren im Rahmen der Autarkiepolitik, so dass er Staatsgelder für sein Unternehmen bekommen konnte. B. wurde Mitglied der NSDAP und lernte führende deren Repräsentanten persönlich kennen. Am 10. April 1935, so eine Zeitung, wurde z. B. Hermann Göring von der Firma Bergin AG durch Dr. B. eine Marzipantorte überreicht, die unter Verwendung von Holzzucker, welcher in den Bergin-Werken aus Holz gewonnen wurde, hergestellt war. Im März 1939 hielt B. einen zusammenfassenden Vortrag über Holzverzuckerung vor dem X. Internationalen Chemischen Congress in Rom, den er als seinen letzten wissenschaftlichen Aufsatz veröffentlichte.

 

Der II. Weltkrieg und der Zusammenbruch des Dritten Reiches wurden auch für B. fatal. Nach dem Krieg versuchte er sein Verfahren als Mittel zur Lösung des Nahrungsproblems im Ausland anzubieten, zuerst in Österreich, zuletzt 1947 in Argentinien. Aber er hatte keine Zeit mehr, sein letztes Projekt zu verwirklichen: An einer schweren Diabetes starb er in Buenos Aires.

 

Das dramatische Schicksal B.s und die Misserfolge seiner kühnen Unternehmungen ist einerseits mit den äußerst ungünstigen Verhältnissen seiner Zeit, andererseits mit seinem eigenwilligen Streben nach absoluter Selbständigkeit verbunden, wozu die Leistungsfähigkeit einer großen Industriegruppe erforderlich gewesen wäre. Es ist aber auch eine tiefere Ursache seines Misslingens zu erkennen. Seine autarkische Zielsetzung war auch ökologisch falsch ausgerichtet: Beide B.-Verfahren sind ökologisch unverträglich; dies wird aus der Rückschau geradezu zum Lehrstück. Dennoch bleibt B.s Bedeutung als einer der Schöpfer der Hochdruckchemie und ?technologie, genauso wie ihm in besonderem Maße zuzuschreiben ist, dass die chemische Technologie zur Wissenschaft entwickelt wurde, was ihm gleichermaßen seinen Platz in der Geschichte von Naturwissenschaft und Technik sichert.

 

Q UnternehmensA d. BASF W1-B (einschließlich Photokopien der Personalakten B. aus d. TH Hannover); StadtA Mannheim (37/1971, Nr. 298); UA Heidelberg (B-1523/1, 1918-1928; B-1884/1); UB Heidelberg (Heid. Hs. 3888, 3695); Auskünfte des A d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften, von B.s Neffen D. Stoltzenberg vom 28. 10. 1996 u. 25. 1. 1997 und des StadtA Heidelberg.

 

W  Über absolute Schwefelsäure als Lösungsmittel (Diss. Leipzig, 1907); Die Anwendung hoher Drucke bei chem. Vorgängen u. eine Nachbildung des Entstehungsprozesses d. Steinkohle. (Habil. Halle), 1913; Neue Methoden zur Verarbeitung von Mineralöl u. Kohle, Zs. f. angew. Chem., 34, 1921, 341-347; Ludwig Landsberg ?, ebd., 36, 1923, 477; Beiträge zur Theorie d. Kohleentstehung,  Naturwiss. 16,1928, 1-10; Holz u. Kohle, chem. u. wirtschaftl. Betrachtungen, Zs. f. angew. Chem., 41, 1928, 707-711; Die Herstellung von Zucker aus Holz und ähnlichen Naturstoffen, in. Ergebnisse der angewandten physikalischen Chemie, Bd.1, Leipzig, 1931, S. 199-288; Chem. Reaktionen unter hohem Druck, Nobelvortrag, in: Les Prix Nobel en 1931, 1933, 1-37; The Utilization of Wood for the Production of Foodstuffs, Alcohol and Glucose, Chemistry and Industry, 1933, 1045-1052; Chemischer Aufschluss des Holzes durch Hydrolyse d. Kohlehydrate, Atti X. Congr. int. Chim. Roma, Bd. 1, 1939, 116-125.

 

L I. C. Poggendorff, Biograph.-literar. Handwörterb. Bde II ? VII b, 1863-1992: Bd. VI, 183 f (1936), Bd. VII a, 149 f. (1953) (mit Bibliographie); Les Prix Nobel en 1931, 1933 (mit B); Edgar v. Schmidt-Pauli, F. B. Ein dt. Erfinder kämpft gegen die englische Blockade, 1943 (mit B); K. Schoenemann, F. B.s Lebenswerk, Brennstoffchemie, 30, 1949, 177-181; P. A. Thiessen, F. B. zum 60. Geburtstage, Zs. f. Elektrochem., 50, 1944, 241 f.; L. Rheinfelder, F. B., in: R. Erckmann (Hg.), Via Regia, Nobelpreisträger auf dem Weg ins Atomzeitalter, 1955, 110-122; Harald Beck, F. B., ein Erfinderschicksal, Deutsches Museum, Abh., Jg. 50, H. 1, 1982, S. 1-37; A. N. Stranges, F. B. and the Rise of the German Synthetic Fuel Industry, Isis, vol. 75, 1984, 643-667; R. Haul, Das Portrait: F. B. (1884-1949), Chemie in unserer Zeit, 19, 1985, 59-67; F. B. u. die Kohleverflüssigung. Stationen einer Entwicklung, 1985 (mit B); M. Rasch, F. B., A d. Gesch. d. Wissenschaften (Wien), H. 14/15, 1985, 709-715; A. N. Stranges, F. B. and the Transformation of Coal Liquefaction from Empirism to a Science-based Technology, J. Chem. Education, vol. 65, 1988, 749-751 (mit B); K. Krug u. K.-P. Meinnicke, F. B. in: Biographien bedeutender Unternehmer, hg. v. G. Buchheim u. W. D. Hartmann, 1991, 166-172; W.-D. Müller-Jahncke, F. B. + Naturwissenschaftler u. Mäzen, in: Zwischen Tradition u. Moderne - Heidelberg in den 1920er Jahren, 1994, 265-273.

 

B u. a. in: Les Prix Nobel en 1931, 1933; A. N. Stranges, 1988 (vgl. L).