Osann, Carl Alfred, Mineraloge, Petrograph

*3.12.1859 Hofheim (Unterfranken), ev. + 6.8.1923 Freiburg i. Br.

 

 

 

 

V Dr. Friedrich O. (1827-1885), praktischer Arzt, ab 1877 Beziksgerichtsarzt in Hof, später Landsgerichtsarzt in München; Sohn des Chemikers und Physikers Prof. Gottfried O. (1797-1866):

 

M Emma, geb. Lindenborn (1832-1914)

 

G 1, Gustav O. (1857-?)

 

∞ 27.12.192 in Freiburg Dr. Gertraud Siehl (1895-1978)

 

K keine

 

 

 

1867 X                             Umzug d. Familie nach Würzburg
1877 VII                           Abschluss des Realgymnasiums zu Würzburg
1877 X-1881 I                   Studium Chemie, Mineralogie u. Physik an d. Univ. Heidelberg;  
                                       Promotion ohne Diss. am 18.2.1881
1883 IV-1884 IX                 3 Semester in Straßburg; geologische Arbeit in den Vogesen
1884 X-1892 IX                 Assistent am Mineralogisch-geologischen Institut d. Univ. Heidelberg
1887 II 3                           Habilitation ebd.; H-schrift: "Beitrag zur Kenntniss d.
                                       Labradorporphyre d. Vogesen"; Probevorlesung (27.1.1887): "Die
                                       Gleitflächen d. Mineralien, historische Entwickelung von denselben 
                                       u. ihre Bedeutung für die Zwillingsbildungen in Mineralien"
1891 V                             a.o. Prof. ebd.
1893 I - 1895 IX                 Studienurlaub: Aufenthalt in Texas, USA; ab 1894 Bearbeitung d.
                                       gesammelten Materialien in Karlsruhe u. in München
1897 X                             Prof. für Mineralogie an d. Chemieschule in Mülhausen (Elsaß)
1898 IV                            Gleichzeitig Privatdozent, ab März 1900 a.o. Prof. an d. Univ. Basel
1903 IV                            etatmäßiger a.o. Prof. für Mineralogie, Kristallographie u. 
                                       Petrographie an d. Univ. Freiburg; zugleich Direktor des
                                       Mineralogischen Instituts; Antrittsvorlesung (9.6.1904): "D. Nephrit u.
                                       seine prähistorische Bedeutung"
1904 IX                            o. Honorarprof. ebd.
1906 VIII                          o. Prof. ebd.
1917 XII                           Geh. Hofrat.
 

 

 

 

 

 

 

 

O. wurde als zweiter Sohn in die Familie eines Arztes geboren. In seinem Heimatort besuchte er eine Volksschule. 1867 zog die Familie nach Würzburg, ins Haus des verstorbenen Professors Gottfried Osann um. Dort besuchte O. zwei Jahre ein Privatinstitut. Die 4. Klasse der Lateinschule absolvierte er "ohne Aufenthalt" und wechselte auf das Realgymnasium, das er nach 4 Jahren beendete. Vermutlich war es die Gestalt seines Großvaters, des bekannten Naturforschers Gottfried O., die O.s Interesse für die Naturwissenschaften weckte.

 

Er immatrikulierte sich in Heidelberg und studierte Chemie bei R. Bunsen und H. Kopp, Physik bei Quincke (s. dort) und Mineralogie bei Harry Rosenbusch (1836-1914). Nach sieben Semestern konnte er in Chemie insigni cum laude promovieren. Eine Dissertation verlangte man damals in Heidelberg noch nicht. Nebenfächer in seinem Rigorosum waren Physik und Mineralogie, wobei Rosenbusch von seinen Antworten "in hohem Grade befriedigt" war.

 

Etwa zwei Jahre nach der Promotion arbeitete O. ohne Gehalt bei Rosenbusch, dann ging er für drei Semester nach Straßburg. Bei Ernst Benecke (1838-1917), der durch die geologische Erforschung und Kartierung von Elsaß-Lothringen bekannt ist, beschäftigte er sich speziell mit Geologie und Paläontologie. Aus dieser Zeit stammt die Grundlage der Habilitationsschrift O.s. Im Herbst 1884 erhielt O. eine feste Stelle als Assistent am Mineralogischen Institut bei Rosenbusch. Auf die nächsten zwei Jahre fallen seine ersten wissenschaftlichen Publikationen und die Vorbereitung seiner Habilitation. Interessant ist eine seiner in der Habilitation gestellten Thesen: "Das geologische Alter hat seine classificatorische Bedeutung für die Eruptivgesteine verloren und an seine Stelle tritt die Form des Auftretens": Offensichtlich begann O. schon damals über die Klassifikation der Eruptivgesteine, sein Lebenswerk, nachzudenken.

 

O. verehrte seinen Lehrer Rosenbusch sehr und wurde später die Triebkraft bei der Herausgabe der Festschrift für Rosenbuschs 70. Geburtstag. Bei der feierlichen Bestattung von Rosenbusch im Januar 1914. hielt O. eine Rede. O. war es auch, der dem Rosenbuschs Buch "Elemente der Gesteinslehre" ein neues Leben verlieh, indem er 1920-21 das Werk neu bearbeitete. Dennoch: "Von allen Schülern Rosenbusch's ist wohl keiner schon seine ersten Schritte so unabhängig gegangen, wie O.", so Ludwig Milch (1867-1928), der über die beiden Gelehrten ausführlich geschrieben hatte. Rosenbusch seinerseits, wie seine Publikationen zeigen, schätzte O. sehr hoch.

 

Als Privatdozent annoncierte O. Vorlesungen über allgemeine und über physikalische Kristallographie, über Meteoriten, später (WS 1889/90) - "Über die tertiären vulkanischen Gebiete Europas". Nach vier Jahren wurde er zum a.o. Professor befördert; nun leitete er zusätzlich - in Gemeinschaft mit Rosenbusch - die täglichen Arbeiten der Studenten im Mineralogisch-geologischen Institut.

 

Es scheint jedoch, dass die Lehrtätigkeit für O. eher eine unvermeidliche Bedingung war für die Möglichkeit, eigene Forschungen durchzuführen. Schon als Privatdozent ließ er sich zwei Mal, im WS 1887/88 und im WS 1889/90, beurlauben, um Studienreisen nach Südspanien zu unternehmen. Im Herbst 1892 bekam er einen Angebot von der Geologischen Landesanstalt des Staates Texas, gesammelten Mineralien und Gesteine zu erforschen. Begeistert durch diese Gelegenheit "ein bisher noch vollständig unbearbeitetes vielseitiges Material für die Wissenschaft nutzbar zu machen", stellt O. im Oktober 1892 ein Gesuch um dreijährigen Urlaub. Die Fakultät ist einverstanden, und Anfang 1893 ist O. auf dem Weg nach den USA. Der Aufenthalt in Texas, einschließlich einer abenteuerlichen fünfwöchigen Reise zur mexikanischen Grenze, dauerte bis Ende 1893. Schließlich bearbeitete O. das riesige gesammelte Material in Karlsruhe, wo er provisorisch den verstorbenen Direktor des Naturalienkabinetts Adolf Knop (1828-1893) vertrat, und ab Mitte 1894 in München bei dem berühmten Mineralogen Paul Groth.

 

Ab Herbst 1895 ist O. wieder in Heidelberg und annonciert Vorlesungen über "Allgemeine Geologie", "Allgemeine Mineralogie" und "Petrographische Methoden". Im Herbst 1897 bekam er, zuerst kommissarisch, die Stelle des Professors für Mineralogie an der Chemieschule in Mülhausen und ließ sich dazu in Heidelberg für zwei Jahre beurlauben. Im Frühjahr 1898 erhielt O.die venia legendi in der Kristallographie auch an der Universität Basel. Da Basel nur etwa 40 km von Mülhausen entfernt ist, konnte O. an beiden Orten tätig sein.

 

1900-1903 publizierte O. sein großes Werk über eine chemische Klassifikation der Eruptivgesteine. Sein Ziel war: "Die Ergänzung und Vertiefung der auf mineralogische Zusammensetzung und Struktur basierenden gebräuchlichen Einteilung und namentlich auch die Herbeiziehung des Mengenverhältnisses der Hauptgemengteile als klassifikatorisches Moment". Diese bedeutende Abhandlung machte O.s Namen weit in der Fachwelt bekannt. Nun wurde O. als planmäßiger a.o. Professor für Mineralogie nach Freiburg berufen.

 

O. war mit den Verhältnissen, die er antraf, nicht zufrieden. Nur mit Mühe konnte er einen Assistenten bekommen; er neigte dazu, eine bessere Stelle zu finden. Die Universität wollte aber den bedeutenden Wissenschaftler nicht verlieren. Im Herbst 1904 wurde O. zum o. Honorarprofessor befördert und 1906 - zum Ordinarius für Mineralogie und Petrographie. Er las über Mineralogie, Gesteinslehre (Petrographie) und Kristallographie.

 

Sein Hauptinteresse galt aber dem Forschen, insbesondere der Feldforschung, z. B. in den Bergen Spaniens und Portugals. Bei seinen zahlreichen ausgedehnten Reisen war O. "zäh, durchhaltend, von größtem Fleiß und stärkster Ausdauer", so sein Nachfolger Hans Schneiderhöhn (1887-1962). In Schweden entdeckte O. ein neues Mineral, das er Holmquistit nannte. Fünf Gesteinstypen beschrieb und benannte er zum ersten Mal (Melchit, Apachit, Paisanit, Verit, Jumillit). Es sei erwähnt, dass ihm zu Ehren ein neues Mineral Osannit bezeichnet wurde.

 

In seiner vierzigjährigen Tätigkeit schuf O. eine einmalige Gesteinsammlung von etwa 5000 von ihm selbst gesammelten Stücken mit über 3000 Dünnschliffen, die noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts als vollständigste Eruptigesteinsammlung galt.

 

Im Alltag war O. einfach und anspruchslos; seine Leidenschaft war die Arbeit. Die meiste Zeit seines Lebens blieb O. einsam und zurückhaltend. Nur mit seiner Mutter war er sehr verbunden. Während seiner Studiumzeit in Heidelberg wohnte sie dort bei ihm und kümmerte sich um ihm. Später, 1899, lehnte O. ihretwegen eine verlockende Möglichkeit ab, dauernd für die Kanadische geologische Landesanstalt bei guten Bedingungen zu arbeiten. Seiner Mutter widmete O. zu ihrem 80. Geburtstag seine "Petrochemische Untersuchungen". Erst mit 61 Jahren heiratete O. seine Assistentin, die Mathematikerin Dr. Gertraud Siehl, die O.s "mehrjährige Gehilfin" (so sie selbst) war. Sie gab postum O.s "Die Mineralien Badens" heraus. O. starb unerwartet nach einer Operation.

 

 

 

O. veröffentlichte 60 Publikationen, besonders über Eruptivgesteine und Gesetzmäßigkeiten ihrer chemischen und mineralogischen Zusammensetzung. Als einer der ersten verband er mikroskopisch-mineralogische und chemische Einzelbeschreibungen der Gesteine mit der Erfassung dieser Gesteine auch als geologische Körper. Deswegen konnte er jede einseitige Systematik der Eruptivgesteine vermeiden. Dabei erarbeitete er seine eigene Klassifikation. Zu seiner Zeit konnte man den Mineralbestand der Gesteine aus Mangel an geeigneten Meßinstrumenten noch nicht erfassen. O. schuf ein Verfahren, um die Molekularproportionen der Gesteine mit einem Konzentrationsdreieck graphisch darzustellen. Das war die erste Möglichkeit, die Petrographie von einer rein beschreibenden in eine exakte Disziplin der Naturwissenschaften überzuführen. O.s Klassifikation der Eruptivgesteine, die auf diesem Verfahren basierte, wurde bis zur Mitte des 20. Jahhunderts benutzt, aber allmählich durch neuere Forschungen überholt. O.s äußerst präzise und inhaltsreiche Beschreibungen der Gesteine und Mineralien, besonders vom Amerikanischen Kontinent, fanden ihren Platz in Nachschlagwerken des 20. Jahrhunderts; einige von ihnen werden bis heute in der Fachliteratur zitiert.

 

 

 

 

Q UA Heidelberg: A702/12, Nr. 60, 61 (Matrikel); Studentenakten 1877; H-IV-102/94, Nr.28 (Promotion); H-IV-102/114, Nr.24 (Habilitation); PA 2071 (Personalakten); Rep. 27, Nr. 948 (Akademische Quästur O.s); RA 6489, RA 6491 (Mineralogisch-geologisches Institut); HAW 350 (Wahl in die Heidelberger Akad. d. Wiss); UB Heidelberg: Heidelb. Hs 3400 (O.s Briefe an H. Rosenbusch); UA Freiburg: B 24/2694 (Personalakten); B 15/1542 (Akten des Mineralog. Instituts); StadtA Freiburg: Auskunft vom 8.5. 2007; StadtA München: PMB O26 (Meldeunterlagen), Auskunft vom 22.05.2007; StaatsA Basel-Stadt, Bestand UA, F 6, 2; Auskunft vom 14 Mai 2007.

 

 

 

 

W Beitrag zur Kenntniss d. Labradorporphyre d. Vogesen (Habilitationsschrift), in: Abhh.zur geologischen Specialkarte von Elsaß-Lothringen, Bd. III, Heft 2, 1887, S. 1-45; Beiträge zur Kenntnis d. Eruptivgesteine des Cabo de Gata, in: Zs. d. Deutschen Geologischen Ges. 41, 1889, 297-311; 43, 1891, 688-722; Über die kristallinen Schiefer auf Blatt Heidelberg, in: Mitteill. d. Großherz. Badischen Geologischen Landesanstalt, Bd.2, H. 3, 1892, 372-380; Über dioritische Ganggesteine im Odenwald, ebd., 380-388;.Beiträge zur Geologie u. Petrographie d. Apache (Davis) Mts, Westtexas, in: Thschermaks Mineral. u. Petrogaph. Mitteill. 15, 1896, 394-456; Versuch einer chemischen Klassifikation d. Eruptivsteine, ebd., 19, 1900, 351-469; 20, 1901, 399-558; 21, 1902, 365-448; 22, 1903, 322-356, 403-436; Beiträge zur Chemischen Petrographie, 3 Bde., 1903, 1905, 1916; Über einige Alkaligesteine aus Spanien, in: Festrschrift Harry Rosenbusch, 1906, 263-310; Petrochemie d. Eruptivgesteine, in: Hanwörterbuch d. Naturwissenschaften Bd. VII, 1912, 596-605; Petrochemische Untersuchungen, Abhh. d. Heidelberger Akad. d. Wiss. Math.-naturwiss. Kl., 2. Abh., 1913, S. 1-163; D. chemische Faktor in einer natürlichen Klassifikation d. Eruptivsteine, ebd., 8. Abh., 1919, S. 1-126; 9. Abh., 1920, S. 1-59; H. Rosenbuschs Elemente d. Gesteinslehre, 4. neu bearbeitete Aufl., 1923; Die Mineralien Badens, 1927.

 

 

 

 

L Poggendorffs Biographisch-literarisches Handwörterbuch, Bd. IV, 1904, S. 1100; Bd. VI, Teil 3, 1938, S. 1923 (mit Bibliographie); L. Milch, A. O. +, in: Zentralblatt für Mineralogie 1924, S. 119-122 (mit Schriftenverz); A. Johnsen, A. O. +, in: Zs. für Kristallographie 59, 1924, 435f; H. Schneiderhöhn, O., in: Deutsches Biogr. Jahrb., 5, 1923 (Hg. 1930), S. 290-294; E. Tröger, Zur Geschichte des mineralogischen Unterrichts in Freiburg i. Br., in: Ed. Zentgraf (Hg.), Aus d. Geschichte d. Naturwissenschaften an d. Univ. Freiburg i. Br., 1957, S. 97-105.

 

 

 

 

 

B UA Heidelberg, Pos I, Nr. 02201, Nr. 02202