Kuprianoff, Johann (Iwan Michailowitsch), Kälte- und Lebensmitteltechniker, 
*7.12. 1904 St. Petersburg, Russland, orthodox,+ 31.1.1971, Karlsruhe

 

Michael K., Kommerziencandidat, Kaufmann, später Beamter im Exportgeschäft;

M Tatiana geb. Rogozina; G Zwei Schwestern;

1. Ehe ca. 1939 (1948 geschieden); 2. Ehe 5.07.1949 in Ettlingen mit Maria (Ria) Antonia Elisabeth Müller (1917-ca. 2007);
Michael (*ca. 1940), Tanya (*ca. 1943), Peter (*1952)


1922 V                      Beenden der Annenschule in St. Petersburg 
(damals Petrograd);

                                 Reifeprüfung mit Prädikat "mit Auszeichnung"

1922-1924                   Studium am Polytechnischen Institut ebd. (Allgemeine 

                                 Ingenieurfächer)

Ende 1924                Illegale Auswanderung über Finnland nach  Deutschland

1925 IV-1928 VI        Studium an d. TH Karlsruhe (Maschinen-  u. Apparatebau, 

                                 Kältetechnik)

1926 I - 1934 IX        Assistent (bis 1928 - Hilfsassistent) am Kältetechnischen Institut

                                 d. TH Karlsruhe                      
1928 VI 19                Diplomprüfung (Dipl.-Ing.) mit 
Auszeichnung; Diplom-Arbeit:

                                 "Thermodynamische Untersuchung d. Kohlensäure im Bereich 

                                 tiefster Temperaturen einschließlich d. festen Phase"

1931 VI 3                  Doktorprüfung (Dr.-Ing.) mit Auszeichnung;   Diss.: "Über die

                                 Herstellung von fester Kohlensäure"
1931 VIII - X              Studienreise nach den USA zusammen mit 
R. Plank

1934 X-I946 VIII        Entwicklungsingenieur, ab 1937 Oberingenieur und Vorstand d. 31

                                            Entwicklungs- und Versuchsabteilung f.  Kühlschränke bei d. 
                                 "Robert Bosch GmbH", Stuttgart 

!946 IX-1969 XII        Direktor (bis 1948 - stellvertretender Direktor) d.

                                 Forschungsanstalt (seit 1950 - d. Bundesforschungsanstalt) für  

                                 Lebensmittelfrischhaltung, Karlsruhe
1948 XII                     Honorarprofessor an der TH Karlsruhe mit 
dem Lehrauftrag

                                  für Lebensmitteltechnik
1961 VII 1                 o. Prof. auf dem Lehrstuhl f. Technologie d.   

                                 Lebensmittelverarbeitung bis zum Lebensende und Direktor des

                                 gleichnamigen Instituts ebd.

1970 XII                    Dr. h.c. der Technischen Univ. Stuttgart

 

K. entstammte einer russischen Kaufmannsfamilie, die für seine gute Erziehung und Bildung sorgte. Er besuchte Privatschulen, wo er insbesondere Fremdsprachen, zunächst Deutsch erlernte, und schließlich die bekannte deutsche höhere Schule ("Annenschule"), die er 1922 "mit Auszeichnung" beendete.

Der begabte Junge schwankte zuerst zwischen Geschichte und Medizin (sein Onkel, Peter Kuprianoff, war ein bekannter Chirurg), entschied sich aber letztlich für die Ingenieurswissenschaft, und zwar für den Schiffbau. Um am Polytechnischen Institut zu St. Petersburg (damals Petrograd) angenommen zu werden, hatte K. wegen des Numerus clausus eine sehr schwere Aufnahmeprüfung zu bestehen. Für ihn war das die erste Schule der harten Arbeit. Vier Semester studierte K. allgemeine Ingenieurfächer bei ausgezeichneten Gelehrten, die damals dort dozierten, insbesondere Thermodynamik bei Prof. A. Radzig.

Ab Herbst 1924 durfte aber K. als "klassenfremdes Element" nicht mehr an einer Hochschule studieren. Dazu kam die Gefahr, verhaftet zu werden: Ein durch Peter K. im Krieg geretteter Soldat verriet ihm das vertraulich. So entschloss sich K., mit neunzehn Jahren, nach Deutschland zu fliehen, und das Studium zu beenden. Die Eltern waren einverstanden, dafür blieb K. ihnen immer dankbar (später widmete er ihnen seine Dissertation). Sein Vater, damals Beamter im Exportgeschäft, half ihm, illegal die Grenze mit Finnland auf einem Dampfer zu überqueren.

So glückte es K., sich in Deutschland niederzulassen und sich im Frühjahr 1925 an der TH Karlsruhe zu immatrikulieren. Anfangs finanzierte er sein Studium, indem er als Nachtwächter arbeitete. In den Ferien verdiente K. seinen Lebensunterhalt in verschiedenen Maschinenfabriken in Karlsruhe und Köln.

Im Herbst 1925 hatte er nochmals Glück: nach Karlsruhe kam der aus Russland stammende bekannte Kältetechniker R. Plank (s. dort), der nicht nur Lehrer, sondern auch väterlicher Freund für K. wurde und sein Leben maßgebend beeinflusste. "Mit K., so Plank, der bald nur noch «Wawa» hieß, wie ihn seine Eltern nannten, wurde die Freundschaft sehr eng und er wurde [wie ein] Kind zu Hause". Neun Jahre arbeitete K. bei Plank zuerst als Hilfsassistent und nach Beenden des Studiums als Assistent in Thermodynamik und Kältetechnik.

Als Diplomarbeit fasste K. alle Informationen über Kohlensäure in allen drei Aggregatzuständen zusammen. Die durch ihn entwickelten Diagramme der thermischen Eigenschaften der Kohlensäure bewahrten ihre Gültigkeit für Jahrzehnte. Als Dipl.-Ing. durfte K. nun eine selbständige Forschung durchführen. Er erarbeitete gründlich das Thema über die Herstellung von "Trockeneis" (fester Kohlensäure) und erwarb den akademischen Grad Dr.-Ing.. Später erweiterte K. das Thema auch auf die Anwendungen der festen Kohlensäure und publizierte das Buch, das für Jahre weltweit zum Standardwerk wurde. Eine Studienreise nach U.S.A., zusammen mit R. Plank, brachte neue Erfahrung. Auch die Zusammenarbeit mit Plank um ein Buch über Haushaltskältemaschinen versprach eine erfolgreiche akademische Karriere.


Die Umstände im Dritten Reich machten aber das Verbleiben K.'s an der Hochschule unmöglich. (K. blieb noch staatenlos; er konnte die deutsche Staatsangehörigkeit erst ca. 1940 erhalten.) Dann nahm ihm der große Unternehmer Robert Bosch, der keinerlei Neigung zum Nationalsozialismus hatte, in seine Firma als "Entwicklungsingenieur". 1937 wurde K. zum Oberingenieur und Vorstand der Abteilung befördert. Bei der Firma Bosch bekam K. viel Erfahrung in verschiedenen wissenschaftlich-technischen Fragen auf dem Gebiet der Kältetechnik von der Fertigungstechnik bis zur Laboratoriumsarbeit. Er bekleidete eine gute Position, war aber als Forscher nicht ganz zufrieden. So konnte Plank 1946 ihn wieder für die TH Karlsruhe gewinnen.


K. übernahm - zuerst als stellvertretender Direktor - den Wiederaufbau und die Leitung der Forschungsanstalt für Lebensmittelfrischhaltung. Ihm gelang es bald, das stark zerstörte Institut wiederaufzubauen und sogar zu erweitern und auch das Aufgabengebiet auszuweiten: es umfasste nicht nur Kälte, sondern auch Methoden der Haltbarmachung von Lebensmitteln wie Pasteurisieren, Trocknen und Bestrahlen. Von besonderer Bedeutung waren K.'s Pionierarbeiten über Strahlenbehandlung von Lebensmitteln. Das Institut wurde ab 1950 als Bundesforschungsanstalt vom Bund übernommen. Unter K.'s Leitung wuchs die Anstalt personell von 10 auf 160 planmäßige Mitarbeiter, räumlich von rd. 450 auf über 10000 qm.

Ab 1948 begann K. auch seine Lehrtätigkeit in der Eigenschaft eines Honorarprofessors: Er sollte zum erstenmal in Deutschland eine neue Studienrichtung "Lebensmitteltechnik" schaffen und einen neuen Ausbildungsgang durchführen. Später, 1961, wurde ein neuer Lehrstuhl "Technologie der Lebensmittelverarbeitung" an der TH Karlsruhe eingerichtet und K. wurde zum o. Professor berufen. Dank seiner Bemühungen wurde auch das entsprechende Institut aufgebaut und 1966 in Betrieb genommen.

K. hat maßgeblichen Anteil an der wissenschaftlichen Erarbeitung zahlreicher Richtlinien und Vorschriften für die Lebensmittelwirtschaft. 
In seinen Aufsätzen - von ihm stammen mehr als 80 Artikel und 5 Bücher, ganz zu schweigen über zahlreiche Rezensionen und Referate, insbesondere aus der russischen Fachliteratur - war K. immer knapp und sachlich. Ab 1954, nachdem er die harte Anfangsarbeit in Karlsruhe geleistet hatte, nahm K. an verschiedenen Fachversammlungen im In- und Ausland überaus aktiv teil. Daneben machte er viele Vortrags- und Studienreisen. Die Tätigkeit K.'s wurde international anerkannt und mit mehreren Ehrungen und Mitgliedschaften ausgezeichnet. So war er Mitherausgeber von sieben Zeitschriften In- und Ausland, Vorsitzer der Fachgruppe "Lebensmitteltechnik" des Vereins Deutscher Ingenieure, Mitglied einiger Ausschüsse und Gremien, u. a. Präsident des wissenschaftlichen Rates der Commission Internationale des Industries Agricoles et Alimentaires (Paris).


Nach der Pensionierung als Bundesbeamter hoffte K. sich seine Lehr- und Forschungstätigkeit als Professor noch fortsetzen zu können. Es war ihm nicht vergönnt. Er starb an einer unheilbaren Krankheit (Lungenkrebs) nach langem schwerem Leiden.


Im Alter gab K. zu, dass "- jedenfalls zu einem wesentlichen Teil - außerhalb meiner selbst liegende Kräfte mein Leben und meine Entwicklung entscheidend gestaltet haben". Er hatte wohl recht - das ist eigentlich typisch für die Ära der Revolutionen und Kriege. Sein Drama war, dass er seinen Eltern und Schwestern nie sehen und oder mit ihnen in Briefwechsel stehen durfte, auch wenn er im September 1958 aus Anlass einer Tagung des Internationalen Kälte-Instituts nach Moskau reiste: Es wäre für sie gefährlich geworden. (Nachdem Plank 1929 K.'s Eltern in Leningrad besucht hatte, wurde K.'s Vater nach Norden verbannt). Sein Lebenswerk konnte er trotz des Emigrantenschicksals in Würde erfüllen. "Er war wirklich von seiner Arbeit besessen", so seine Frau. K. arbeitete maßgebend in der Kälte- und Lebensmitteltechnik und der Name des hervorragenden Experten bleibt in ihrer Geschichte erhalten.

 

Q Mitteilungen von Frau Ria Kuprianoff; UA Karlsruhe (8/72; Biogr. Sammlung; Nachlass R. Plank; Auskünfte); Unternehmensarchiv Robert Bosch GmbH (Auskunft); StadtA Karlsruhe (Auskunft);BundesA Koblenz (Auskunft); A Heidelberger Akad. Wiss. (1.11, Kuprianoff).

 

W Die thermischen Eigenschaften der Kohlensäure im gasförmigen, flüssigen und festen Zustand (mit R. Plank), Beihefte z. Zs. f. die gesamte Kälte-Industrie, 1929, Reihe 1, H. 1, 65 S.; Erweiterung d. Dampftabellen u. Diagramme f. Ammoniak bis -76oC, Zs. f. die gesamte Kälte-Industrie, 37, 1930, 1-6; Das schnelle Gefrieren von Fleisch, ebd., 39, 1932, 213-214; Haushaltkältemaschinen u. kleingewerbliche Kühlanlagen (mit R. Plank), 1934; Die feste Kohlensäure (Trockeneis), 1939, 21953; Die Kleinkältemaschine (mit R. Plank), 1948, 21960; Forschung u. Lehre auf dem Gebiet d. Lebensmitteltechnik, Zs. VDI, 92, 1950, 977-980;Entstehungsgeschichte und Aufgaben der Bundesforschungsanstalt auf dem Gebiet der Lebensmittelfrischhaltung, in: Forschungsanstalten des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Bonn, 1952, S. 143-146; Die Kältemittel (mit R. Plank und H. Steinle), 1956 (Hb. d. Kältetechnik, Bd.4); Technische Probleme beim Gefrieren von Fischen, Kältetechnik, 7,1955, 215-223; D. Einfluß d. Temperatur u. Lagerdauer auf die Gefrierveränderungen von Lebensmittel, ebd., 8, 1956, 102-107; (mit K. Lang) Strahlenkonservierung u. Kontamination von Lebensmitteln 1960; Antrittsrede, Sitzungsberr. Heidelberger Akad. Wiss., Jahresheft 1961/62, S. 20-25; Probleme d. Strahlenkonservierung von Lebensmitteln,  Sitzungsberr. Heidelberger Akad. Wiss., Math.-nat. Kl., 1962/64, Abh. 5; Rudolf Plank zum 80. Geburtstag, in: Zs. für Lebensmittel-Untersuchung u. -Forschung 30, 1966, 358; (mit N. Paul u. Th. Grünewald) Über die Möglichkeit einer Behandlung von Trockensuppen mit ionisierenden Strahlen, in:: Deutsche Lebensmittel-Rundschau, 65, 1969, 279-281.

 

L  Poggendorffs Biogr.-lit. Handwörterbuch, Bd. VIIa,Teil 2 (1958), S. 970; Bd. VIII, Teil 3 (2004), 1749; DBE, 2. Aufl., Bd. 6 (2006), 166f.; R. Thévènot, Adress an J. K., in: Kältetechnik 16, 1964, 333; R. Plank, J. K. 60 Jahre, ebd. 331 f.; ders., J. K. 65 Jahre, ebd. 21,1969, 313 f.; ders., J. K. +, ebd. 23,1971, 37. K. Schäfer, J. K. +, in: Jahrbuch d. Heidelberger Akad. d. Wiss. für 1972, 53-55.

 

 

 

 

B UA Karlsruhe (Nachlass R. Plank); Fridericiana, Zs. f. die Freunde d. TH Karlsruhe, 4,1956, 9; Kältetechnik, 16,1964, 331, 17,1965, 63, 388, 19, 1967, 83, 364; Badische Neueste Nachrichten vom 3. Febr. 1971.